„Mafia“ sind immer die anderen

Drei russische Zeitungen und zwei Fernsehsender kämpfen erbittert um die rund 100.000 Russen in der Stadt. Einig ist man sich nur in der Verachtung der Konkurrenz  ■ Von Gudula Hörr

Schaukelnd zoomt sich die Kamera heran. Ein wenig schwankend focussiert sie die zierlichen Finger und zeigt diese, mal größer, mal kleiner. Kinderfinger, die über Klaviertasten fliegen. Ein wackeliger Schwenk. Ein begeistertes Publikum rückt ins Bild, wie es dem russischen Wunderkind applaudiert.

Ein Hauch Sowjetfernsehen in Berlin. Aufgenommen vom Russischen Kulturprogramm, das der 67jährige Simion Mak und seine 25jährige Frau in Schöneberg produzieren. Hergestellt für einen Markt von rund 100.000 in Berlin lebenden Russen. Für einen Markt, auf dem die Konkurrenz sich mittlerweile tummelt: Neben dem Russischen Kulturprogramm strahlt über Spreekanal noch das Russische Fernsehen in Deutschland (RTvD), und bei Radio Multikulti gibt es täglich 20 Minuten russischsprachiges Radio. Dazu verkaufen sich an den Kiosken mittlerweile drei russische, in Berlin hergestellte Wochenzeitungen. Der russische Medienmarkt boomt wie zuletzt in den zwanziger Jahren.

Mit Ewropazentr kam nach mehr als 60jähriger Pause im Mai 1993 die erste russische Zeitung auf den deutschen Markt. Sie erscheint zweiwöchentlich, ihre Auflage beläuft sich nach eigenen Angaben bundesweit auf 40.000. Ihr Ziel ist ähnlich dem der meisten russischen Medien: „Hilfe zur Integration“, so Chefredakteur Jurij Sarubin. Er sieht die Zeitung in der geistigen Nachfolge von Lew Kopelew und dessen Projekt zur deutsch-russischen Aussöhnung. Neben der Berichterstattung soll Ewropazentr daher besonders viel und kenntnisreich über deutsche Politik, Kultur und Zeitgeschichte informieren. „Wir sind eine Art Süddeutsche unter den russischen Zeitungen hier“, glaubt Mitarbeiterin Lilia Fraedrich. Mit einem leicht verächtlichen Lächeln spricht die junge Germanistin über die Konkurrenz. Chefredakteur Sarubin, der nach sechs Jahren in Deutschland noch immer lieber russisch statt deutsch spricht, urteilt heftiger: „Unprofessionelle Arbeit, Sensationsjournalismus.“

Die Verachtung der Konkurrenz ist den meisten Vertretern russischer Medien gemein. Professionell ist stets nur man selbst. Die anderen verlacht man als Dilettanten oder beschimpft sie gleich als Versager, Verbrecher, kurz: Mafia. Der Allzweckteufel. Dabei pflegen die Zeitungen im Medienkrieg noch einen relativ zivilisierten Umgang miteinander.

So auch bei der im vergangenen Juni auf den Markt gebrachten Wochenzeitung Russkij Berlin (Russisches Berlin). „Wir wollen interessanter und spannender sein als die Konkurrenz“, hält Redakteur Alexander Michailow für einen wesentlichen Unterschied seiner Zeitung zu den übrigen Blättern. Weshalb Russkij Berlin, mittlerweile überregional umgetauft in Russkaja Germania (Russisches Deutschland), allein zwei Seiten der Kriminalität widmet: Erpressungen und Morde in Rußland, Korruption und Polizeiübergriffe in Deutschland und immer wieder: Mafia, Mafia, Mafia.

Daneben drei Seiten Fernsehprogramm, drei Seiten Korrespondentenberichte aus westdeutschen Regionalbüros. „Bei uns ist für jeden etwas dabei“, meint Michailow. Die Hauptaufgabe des Blattes aber sieht er darin, den Lesern die Integration zu erleichtern, indem er ihnen die politische und soziale Lage mit hintergründigen Artikeln zu erklären sucht. „90 Prozent der Russen haben ja keine Ahnung, was sie hier erwartet. Für sie ist Deutschland ein fremdes Land.“

Während sich die Macher von Russkij Berlin optimistisch zeigen, eine Beilage planen und die Produktion einer Tageszeitung erwägen, klingt der Verleger Ewgenij Tanklewskij wesentlich ernüchterter. Vor knapp einem Jahr begann er mit der Herausgabe der Nowaja Berlinskaja Gazeta (Neue Berliner Zeitung). Euphorisch hatte er zunächst eine anspruchsvolle Berliner Wochenzeitung für Russen machen wollen. Doch das Konzept ging nicht auf. Seit einiger Zeit soll die Zeitung nun den Berliner Dunstkreis überwinden und sich mehr bundesweiten und leichteren Themen widmen. Wie beim boulevardorientierten Konkurrenzblatt verschwand auch hier das „Berlin“ aus dem Titel, der nun schlicht Nowaja Gazeta lautet. Doch die roten Zahlen blieben offenbar. Seit kurzem sucht Tanklewskij einen Käufer für sein Blatt.

„Unser Problem ist, daß die Leserschaft zu gemischt ist“, glaubt Tanklewskij: Wolgadeutsche, Kontingentjuden, russische Emigranten aus den 70er und 90er Jahren, Städter und Dörfler aus der tiefsten Provinz. Für sie alle eine Zeitung zu machen hält er für unmöglich. Viele würden dabei, wenn sie überhaupt Zeitung läsen, entweder noch russische oder aber gleich deutsche Blätter lesen. Hinzu käme das Problem, daß es allein in der Hauptstadt mittlerweile drei Zeitungen gebe, „die alle ein sehr ähnliches Konzept haben“. Tanklewskij, der nicht traurig zu sein scheint, den Verlegerjob durch etwas Neues zu ersetzen, glaubt, daß alle Zeitungen Schwierigkeiten auf dem Markt haben. Trotz anderslautender eigener Angaben überschreitet seiner Meinung nach keine die Auflagenzahl von 8.000. Letztlich überleben könnten die Blätter nur, weil die Mitarbeiter am Hungertuch nagten.

Noch härter und gnadenloser als bei den Zeitungen ist der Konkurrenzkampf bei den russischen Fernsehsendern. Dabei genießt Simion Mak vom Russischen Kulturprogramm, der seit 1995 in seiner winzigen Zweizimmerwohnung produziert, die er noch mit Frau und Kater Mitja teilt, noch einen gewissen Vorsprung, der sich vor allem in der Höhe der Werbeeinnahmen niederschlägt. „Wir sind bestens ausgelastet“, meint Mak. Der ehemalige Musiker bedauert nur, daß er nur sechs Minuten Werbung pro halbe Stunde Programm zeigen darf. Doch auch die verbliebenen 24 Minuten unterscheiden sich kaum von Werbespots, die von Mak selbst produziert werden: Da preist eine hochtoupierte Journalistin minutenlang die Vorzüge eines griechischen Restaurant in Charlottenburg, oder Eberhard Diepgen wird befragt, warum er denn so gerne mit Aeroflot fliege.

Sobald wie möglich will Mak viermal wöchentlich im Zweitonkanal senden. Mak, der stolz ist, Breschnew und Chrustschow persönlich gekannt zu haben, ist zuversichtlich: „Ganz Berlin sieht uns“, mindestens 300.000 Menschen. „Schließlich“, so der kleine Mann mit der großen Brille, „sind wir der einzige Sender.“ Daß dies seit einigen Monaten nicht mehr zutrifft, will Mak nicht recht wahrhaben. Kommt die Rede auf den seit Frühjahr produzierenden Konkurrenten RTvD, verfinstert sich seine Miene schlagartig, die joviale Selbstgefälligkeit weicht wütender Empörung: „Verbrecher, Mafiosi.“ Nein, mit denen wolle er nicht in einem Artikel stehen. In ein paar Monaten werde ein Gericht sein Urteil verkünden und die ganze Welt die Wahrheit erfahren. Schluß. Aus. Mehr sage er nicht.

Beim RTvD sind die Redakteure redseliger. „Er ist halt ein alter Mann“, meint Produzent Peter Tietzki. Dabei hätten er und seine Leute zuerst mit ihm zusammenarbeiten wollen. „Aber dann bekam er wohl Angst, sein Monopol auf ein russisches Fernsehen zu verlieren.“ Jedenfalls habe ihn Mak dann auch öffentlich in seiner Sendung als „Verbrecher“ tituliert, der ihm nach dem Leben trachte. Was Tietzki kurzerhand mit einer Unterlassungsklage quittierte.

Wenn schon, dann trachtet man beim RTvD nach Werbekunden und Sponsoren. Denn die rund 20 meist jungen Mitarbeiter haben weitreichende Pläne: RTvD soll viermal in der Woche produzieren und im Zweitonkanal senden. Und sobald wie möglich wollen die Redakteure auch russische Spielfilme, Talkshows und Nachrichten bundesweit zeigen.

Im Moment beschränkt sich ihr Programm noch auf zwei Sendungen pro Woche. Im Mittelpunkt stehen russische Geschäftsmänner, Musiker, auch Hausbesetzer, die eines eint: Sie haben es auf ihre Weise zu etwas gebracht und sind zufrieden in Berlin. „Wir müssen zeigen, daß Integration möglich ist, anstatt klagend abseits zu leben“, meint Chefredakteurin Ludmilla Tietzki. Deshalb legen die Redakteure – wie auch die der Zeitungen – viel Wert auf Ratgeberrubriken: Tips zum Einbürgerungsrecht, zu Steuern, zu Hauskäufen, zu russischem Sauerrahm.

Die Ratgeberfunktion hält auch Oleg Sinkowskij für überaus wichtig. Er morderiert die russischsprachige Sendung bei Radio Multikulti. In den 20 Minuten, die er täglich senden kann, will er mit vielfältigen Tips den Russen das Leben in der auch nach Jahren oft noch unvertrauten Fremde erleichtern. Ansonsten versucht er in seinem Programm den Spagat: Durch ein vielfältiges Angebot will er sowohl alte, zu Stalinzeiten geprägte Russen als auch junge Russen, städtische Juden und ländliche Deutsche erreichen.

Im Gegensatz zur Konkurrenz verfügt Sinkowskij dabei über einen großen Vorteil: Als Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks habe er „eine gewisse Freiheit beim Programm“. Kein Schielen auf Werbekunden, keine Kompromisse in den Sendungen. Auch braucht er nicht täglich um seine Existenz zu bangen wie viele seiner Kollegen beim Fernsehen und den Zeitungen. Denn wie lange sich diese halten können, steht in den Sternen. Sinkowskij glaubt, „daß fremdsprachige Medien ganz langfristig absterben“. Zudem ist er davon überzeugt, daß auf Dauer wohl nur eine Zeitung, ein Rundfunk- und ein Fernsehsender überleben werden.

Der Verleger Tanklewskij klingt noch pessimistischer: „In 20 Jahren wird es uns so kaum mehr geben. Dann verfolgen die Russen hier entweder deutsche Medien oder lesen russische Literatur.“