Vom Säureattentat zum Rinderwahnsinn

Freuden der Zerstörung: Im Kunstraum München werden Manifeste, Projektentwürfe und rekonstruierte Arbeiten von Gustav Metzger gezeigt. Die Ausstellung des mittlerweile 71jährigen Londoners funktioniert wie ein Copy-Shop mit angeschlossenem Physiklabor  ■ Von Harald Fricke

Der kleine Mann neben Joseph Beuys auf einem Foto von 1972 sieht aus wie der Altkommunarde Dieter Kunzelmann. Sein Haar ist schütter, der Bart zauselig, die Augen glühen wild. Damals hatte Gustav Metzger an der Tagung „Information Action“ in der Tate Gallery teilgenommen und Beuys wegen seiner politischen Sorglosigkeit kritisiert. Während Beuys einfach die technologischen Errungenschaften des Westens auf den globalen Süden übertragen wollte, um das Elend vor Ort zu verringern, hielt Metzger es für notwendig, die Entwicklungshilfe an alternative Energien zu koppeln. Schließlich könne man nur mit ökologischem Bewußtsein die Umweltschäden der Industriestaaten in der Dritten Welt zu vermeiden helfen.

Auf einer anderen Fotografie in der weitgehend dokumentarisch angelegten Retrospektive des Kunstraum München sieht man Metzger mit Bertrand Russell Anfang der sechziger Jahre gegen den Atomkrieg demonstrieren (beide wurden deshalb verhaftet); dann wieder diskutiert er mit internationalen Künstlern in London über Maschinenkunst und Happening. Alles ist situationistisch geprägt und sehr hipnessorientiert: Der aus West-Berlin angereiste Wolf Vostell trägt Borstenschnitt und Backenbart wie die spätere DDR-Dissidenz. Peter Weibel erinnert mit seinen Stiefeletten, Röhrenhosen und salopper Beatfrisur eher an Jean-Paul Belmondo und Nouvelle Vague.

Daneben hängen Flugblätter und Manifeste, Positionspapiere und immer wieder Projektentwürfe. So gab es für Stockholm die Idee, 120 Autos mit laufendem Motor in einem durchsichtigen Plastikcontainer stehenzulassen, bis sich das Objekt langsam mit den Abgasen füllt: „Die Struktur wird nun mit einer undurchlöcherten Plastikhülle überdeckt und verdichtet. Falls bis zum Mittag des 15. die Wagen nicht in Flammen aufgegangen sind, werden kleine Bomben in die Skulptur hineingeworfen.“ Die Arbeit wurde nie realisiert, nur ein Modell mit Spielzeugautos blieb übrig. Ansonsten ist der Kunstraum bis auf die fotokopierten Blätter an den Wänden ziemlich leer. Ein Traum für Info- Freaks und Copy-Shop-Jünger: Texte statt Kunst.

Offenbar hat der 1926 in Nürnberg geborene Metzger selbst ein starkes Unbehagen gegenüber visueller Kunst. Bereits 1959 schließt er mit der Malerei ab und stellt lieber zerlegte Pappkartons und Verpackungsmaterial für Fernsehgeräte aus, weil sie „der Kunst in Industriegesellschaften“ entsprechen. Zur gleichen Zeit veröffentlicht Metzger sein erstes Manifest über „autodestructive art“, daß er in den folgenden Jahren verfeinert – zuletzt ist nur mehr von Maschinen, Lärm und zufälligen Aktivitäten die Rede. Für die Londoner „Art into Society“-Ausstellung, an der auch Hans Haacke, Klaus Staeck und Beuys beteiligt sind, verweigert Metzger am Ende jede Präsentation und ruft statt dessen zum Streik auf: In den „Years without Art, 1977-1980“ sollen Künstler die Produktion abbrechen und sich allein der Theoriebildung widmen. Schon seine Manifeste zur Zerstörung haben vor allem dieses Ziel: die Kunst unsichtbar machen, um sie aus der Macht der Galeristen und Museumsdirektoren zu befreien und wieder ins Leben einzubinden.

Entsprechend müssen nun ein paar spärliche Objekte genügen, um Metzgers Werdegang vom Destruktionskünstler zum Öko-Konzeptualisten aufzuzeigen. Der Aufbau bei zwei rekonstruierten Arbeiten aus den Sixties erinnert an den Physikunterricht: Einmal tropft Wasser auf eine glühende Herdplatte und tanzt beim Verdampfen; eine andere Installation zeigt eine Styroporplatte, die mit vier Druckluftschläuchen in der Schwebe gehalten wird. Der Rest ist Legende, etwa die Aktion, bei der er 1961 für eine Performance im South-Bank-Viertel von London eine Leinwand mit Säure verätzte und diese Art Kunstattentat zum kreativen Akt erklärte. Oder die Geschichte von Pete Townshend, der 1962 in einer Vorlesung von Metzger saß, bevor er als Gitarrist der Who sein Instrument in den Verstärker rammte.

Metzger wiederum durfte für die ersten Psychedelic-Shows bei Gruppen wie Cream, Move oder eben Who eine Light-Show mit Flüssigkristallen gestalten. Allerdings blieb es bei dieser kurzen Berührung mit der Popwelt: Heute hält Metzger Vorträge über Vermeer oder beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Rinderwahnsinns auf die britische Europapolitik, wenn er nicht gerade als Trödelhändler in seinem Londoner Laden arbeitet. Ein Stipendium der Stadt München parallel zur Ausstellung lehnte er ab.

Zum Teil erklärt sich die Verweigerungshaltung des mittlerweile 71jährigen Metzger aus seiner Biographie: Als Kind polnischstämmiger Juden war er 1939 mit dem „Refugee Children movement“ nach London geflüchtet, seine Eltern starben im Konzentrationslager. Daß er den Holocaust überlebt hat, blieb für Metzger immer ein Grund, seine Identität als Künstler anzuzweifeln. Adornos Satz über die Unmöglichkeit, nach Auschwitz Gedichte zu schreiben, bestätigte ihn in seiner Skepsis vor dem gemalten Bild.

Ähnlich wie die Künstler der New Yorker No-Art!-Bewegung Ende der fünfziger Jahre setzt auch Metzger mit seiner „autodestructive art“ die Massenvernichtung in den KZs mit den Folgen der Atombombe gleich: „Wenn es schon diese Explosionen gibt, warum sollten Künstler dann Skulpturen herstellen, die die Zerstörung der Gesellschaft überleben.“

Angesichts der Bedrohung nimmt Metzger die Rolle eines Schamanen ein, seine Anschläge auf die Leinwand stehen stellvertretend für das Kollektiv. Mehr noch: Indem er das Bild in der Aktion malträtiert, führt er eine Art magische Ersatzhandlung durch, um die Gesellschaft von ihrem Todestrieb zu befreien. Damit steht der Destruktionskünstler geradezu als christlicher Märtyrer des Atomzeitalters da: Im Jahr der „South Bank Demonstration“ von Gustav Metzger schlug auch Bertrand Russell seinen Text gegen den Atomstaat an die Tür des britischen Verteidigungsministeriums – wie Luther seine 95 Thesen.

Bis 15.11., Kunstraum München. Morgen findet um 20 Uhr die Präsentation des Buches „Gustav Metzger – Manifeste, Schriften, Konzepte“ statt