Benachteiligte dürfen nicht mehr bevorzugt werden

■ Das Oberste Gericht der USA bestätigt ein Anti-Bevorzugungsgesetz. Bürgerrechtler befürchten jetzt die Abschaffung der aktiven Gleichstellungspolitik in weiteren Bundesstaaten

Washington (taz) – US-Bundesstaaten haben zukünftig das Recht, Programme zur Förderung von Frauen oder Minderheiten, die sogenannte affirmative action, abzuschaffen. Das entschied am Montag das Oberste Gericht der USA. Es hatte über eine Beschwerde gegen Kaliforniens Volksentscheid Nr. 209 zu verhandeln, der eine solche aktive Gleichstellungspolitik untersagt.

Im vergangenen Jahr hatten die Wähler Kaliforniens, des bevölkerungsreichsten und ethnisch vielfältigsten Bundesstaates, in einer Volksabstimmung einen Verfassungszusatz verabschiedet, der Bevorzugung und Diskriminierung aus der Welt schaffen sollte. Die mit einer Mehrheit von 54 zu 46 Prozent verabschiedete „Kalifornische Bürgerrechtsinitiative“ verbietet dem Bundesstaat, bei seiner Einstellungspraxis sowie bei der Vergabe von Aufträgen Geschlecht, Hautfarbe, ethnische oder nationale Herkunft als Entscheidungskriterium heranzuziehen. Klingt gut – nur richtet sich diese Initiative nicht etwa gegen die Diskriminierung von Minderheiten, sondern gegen ihre Bevorzugung. Das Gesetz untersagt eine Praxis, die im Gefolge des Bürgerrechtsgesetzes von 1964 üblich wurde. Zur Beseitigung der Diskriminierung sollten jene, die bisher am meisten unter ihr zu leiden hatten, Vorteile bei Einstellung und Auftragsvergabe genießen. So gab es auf Bundes-, Staats- und lokaler Ebene Programme zur Förderung von Minderheiten.

Ein kalifornischer Erlaß sah vor, daß 15 Prozent der Auftragssumme des Staates an Minderheitenbetriebe und fünf Prozent davon an Betriebe in Frauenhand gehen sollten. Leer ausgehen sollten Firmen, die keine Anstalten machten, bei ihrer Einstellungspraxis Frauen und Minderheiten entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil zu berücksichtigen. Dagegen richtet sich der Volksentscheid.

Unmittelbar nach Verabschiedung des Verfassungszusatzes klagten Bürgerrechtsgruppen gegen das Gesetz und erwirkten von einem Bundesgericht zunächst einen Durchführungsstopp, ein Urteil, das in der nächsten Instanz allerdings wieder aufgehoben wurde. Das Oberste Gericht hat durch seine Weigerung, den Fall zu verhandeln, dieses Urteil zweiter Instanz gelten lassen. Es muß jetzt davon ausgegangen werden, daß andere Staaten und Gemeinden im ganzen Land ähnliche Anti-Bevorzugungsgesetze verabschieden.

Oren M. Sellstrom vom Anwaltskomitee für Bürgerrechte in San Francisco wies darauf hin, daß mit dem Volksentscheid 209 nicht alle aktiven Gleichstellungsprogramme untersagt sind. Der Volksentscheid 209 berührt weder privatwirtschaftliche Entscheidungen noch die von Bundesbehörden. Programme zur Förderung von Minderheiten – sogenannte Outreach-Programme –, die bisher benachteiligte Bevölkerungsgruppen in den Stand setzen sollen, auf dem Markt erfolgreich zu konkurrieren, sind dadurch ebensowenig untersagt wie Schularbeitszirkel und Förderunterricht, die die Kinder benachteiligter Stadtteile besser auf Aufnahmeprüfungen für höhere Schulen vorbereiten sollen. „Man muß jetzt innerhalb des von 209 gesteckten Rahmens arbeiten“, erklärt Sellstrom. Öffentliche Auftraggeber zum Beispiel sind nach wie vor an das Bundesgesetz gebunden, das Diskriminierung untersagt: „Wenn die Belegschaft einer Firma blütenweiß ist, und das in einer ethnisch diversen Stadt, so ist das ein sicheres Anzeichen für Diskriminierung.“

Beth H. Parker von den „Anwälten für gleiche Rechte“ in San Francisco sieht die Gefahr von 209 und seiner Bestätigung durch das Oberste Gericht darin, „daß alte rassistische Muster legitimiert zu sein scheinen. An der juristischen Fakultät der University of California in Berkeley ist dieses Jahr unter den 250 Neuaufnahmen nur ein schwarzer Student. Eine aktive Gleichstellungspolitik, die daran etwas zu ändern versucht, könnte nach Verabschiedung von 209 gesetzwidrig sein. Und viele Firmen – vor allem in der Baubranche – geben jetzt vollends jeden Versuch auf, eine nach Rasse und Geschlecht ausgewogene Belegschaft anzustreben.“

Bei den bisherigen Verfahren gegen den Volksentscheid 209 handelt es sich um formale Klagen gegen das Gesetz. Es ist nicht ausgeschlossen, daß zu einem späteren Zeitpunkt die Auswirkungen dieses Gesetzes zum Gegenstand einer materiellen Verfassungsklage werden. Peter Tautfest