Die gestrengen Bewacher der Raffinerie

In Frankreich sind zwölf von dreizehn Erdölraffinerien wegen des Lkw-Streiks zum Stillstand verurteilt. Außer der in Grandspuits: Hier betreut die Polizei jeden einzelnen Lkw, damit sie auch ja keine Barrikade errichten  ■ Aus Nangis Dorothea Hahn

Die Barrikade ist angekündigt. „60 Kilometer östlich von Paris, bei Nangis“ blockieren streikende Lkw-Fahrer den Verkehr, meldet die Verkehrsinformation. Es ist der Paris nächstgelegene Streikposten – mitten in der Brie, wo zwischen Zuckerrübenfeldern und Käseproduktion eine der 13 großen Raffinerien Frankreichs liegt.

Der Verkehr auf der N 19 fließt ungehindert gen Osten. Gelegentlich verlangsamt ein mit Rüben beladener Erntewagen das Fortkommen. Kurz vor Mormant in der Brie blendet auf der Gegenfahrbahn ein Lkw mit den Fernleuchten auf. Hinter der sanften Kurve hält ein Gendarm die Pkws mit Handzeichen an. „Wo wollen Sie hin?“ fragt er. Am rechten Fahrbahnrand stehen sorgfältig aufgereiht acht geparkte weiße Tanklaster. Die Barrikade?

Roger, Jean-Claude und Michel lachen hämisch. „Hier streikt niemand“, sagt Michel, der Älteste von ihnen, der 2,6 Millionen Lkw- Kilometer und 28 Berufsjahre auf dem Buckel hat. Jean-Claude, seit sechseinhalb Jahren auf dem Bock, ergänzt: „Hier hat die Gendarmerie eine Barriere errichtet.“

Bereits am Sonntag nachmittag, als die Urabstimmung der 340.000 französischen Lkw-Fahrer über den Streik noch gar nicht abgeschlossen war, hat die Gendarmerie starke Einheiten in der Umgebung der Raffinerie zusammengezogen. Der örtliche Präfekt hat angeordnet, unbedingt die Arbeit der Raffinerie von Grandspuits sicherzustellen. Seither kontrollieren Gendarme den Pkw-Verkehr auf den zwei Kilometern der N 19 vor und hinter der Raffinerie. Winken alle ankommenden Tanklaster auf die Parkspur. Und ordnen den übrigen Lkws kurzerhand an, einen U-Turn zu machen.

Roger, Jean-Claude und Michel sind am frühen Morgen in diese Falle geraten. Jetzt warten sie darauf, „abgeholt“ zu werden. Das geht so. Immer wenn die Ladestelle an der Raffinerie frei ist, setzt sich ein uniformierter Gendarm neben einen Lkw-Fahrer ins Führerhäuschen. Ein anderer schwingt sich auf ein Motorrad. Dann geleiten sie gemeinsam den Lkw zur Raffinerie, wo er seine 35.000 Liter auffüllt. Passen auf, daß er nirgends bremst oder sonstige „verbotene“ Manöver macht. Und geleiten ihn anschließend zurück.

Die drei Wartenden denken gar nicht daran zu streiken. Sagen sie. „Warum sollten wir?“ kommt es wie aus einem Munde. Erstens sind sie mit ihren Bruttolöhnen von je rund 9.000 Franc (rund 2.700 Mark) zufrieden, zweitens finden sie ihre Patrons „korrekt“, und drittens haben sie „gar keine Wahl“. Roger fährt mit der Hand in horizontaler Richtung über die Kehle. „Wenn wir streiken, verlieren unsere Patrons den Vertrag mit der Raffinerie, und wir verlieren sofort den Job.“ Aber „solidarisch“ mit den Streikenden sind die drei trotzdem. Sagen sie. Wenn einer von ihnen in eine echte Barrikade geriete, würde er „selbstverständlich nicht“ ausbrechen. „Ist doch logisch, daß die streiken“, sagt Roger, „wer kann heute schon mit mit 6.300 Franc brutto (1.900 Mark) leben.“ Roger findet es „seltsam“, daß „die“ eine Währungsunion vorbereiten und „niemand daran denkt, auch eine Sozialunion zu machen“.

Ein nagelneuer weißer Jeep fährt vor. Heraus steigt ein graumelierter Herr in mittleren Jahren, der schnurstracks auf die Gendarme zustrebt. Daniel Loehac ist Besitzer des Unternehmens „Gael“ mit 400 Tanklastern. Sein zentraler Parkplatz liegt ein paar hundert Meter näher an der Raffinerie. „Bei mir ist alles in Ordnung“, sagt er, „da streikt niemand.“ Überhaupt sei man in Frankreich „viel zu liberal“, schimpft er. Aber die Gendarmen, die seien „effizient“. Dann fährt er hinter einem seiner von Gendarmen eskortierten Tanker in Richtung Raffinerie ab.

Am Werkstor von „Gael“ stehen Lkw-Fahrer in kleinen Gruppen zusammen. Gelegentlich nähert sich ein Gendarm den leise Diskutierenden. „Klar ist der Lohn hier in Ordnung“, sagt ein Fahrer, der seit drei Jahrzehnten für „Gael“ arbeitet, „aber den Traum- Patron haben wir trotzdem nicht.“ Nach einem Arbeitskonflikt vor drei Jahren hat Daniel Loehac kurzerhand mehrere kleine Unternehmen mit je unter 50 Beschäftigten gegründet, um den Betriebsrat zu zerschlagen. Wer seither noch gewerkschaftlich organisiert ist, „fliegt raus“, wird getuschelt.

Den Streik finden auch bei „Gael“ alle „o.k.“. Keiner ist dagegen. Ein paar sind „unentschieden“. „Mutig“ finden sie die Streikenden. „Das ist eine kleine Minderheit der Lkw-Fahrer“, erklärt einer, „die riskieren eine Menge. Wenn sie gewinnen, profitieren wir alle davon.“ Ein anderer erinnert sich daran, wie sein letzter Patron im vergangenen Jahr anschließend die Streikenden schikanierte. „Die mußten Drecksarbeit machen. Schlechte Touren fahren.“

An der Gendarmensperre will eine Durchfahrende Erklärungen. „Da vorn ist eine Demonstration“, behauptet der Gendarm. Nachdem er zugeben muß, daß so etwas vor der gut bewachten Raffinerie unmöglich wäre, versucht er es anders: „Wenn wir nicht da wären, würde diese Raffinerie genausowenig funktionieren wie die anderen zwölf Raffinerien in Frankreich.“ Als das immer noch nicht überzeugt, wird er unwirsch: „Ich habe keine Zeit, mit jedem Autofahrer zu diskutieren. Fahren Sie weiter.“