Crash mit heftiger Schockwirkung

■ In Brasilien hat der jüngste Börsenkrach die Wirtschaft erschüttert. Steigende Arbeitslosigkeit und Firmenzusammenbrüche drohen

Rio de Janeiro (taz) – Lateinamerikas Wirtschaftslokomotive Brasilien galt bis zum jüngsten Börsencrash bei Investoren und Spekulanten als sichere Bank. Staatschef Fernando Henrique Cardosos Stabilitätspolitik flößte Vertrauen ein. Von einem Tag auf den anderen hat sich alles geändert: Cardosos Popularitätskurve zeigt nach unten, die Anleger sind mißtrauisch, ziehen Kapital in Milliardenhöhe ab.

Brasiliens Zentralbank versucht, den gefährlichen Trend per Schocktherapie zu stoppen; sie hat die Leitzinsen auf 46 Prozent verdoppelt. „Dafür werden sie teuer bezahlen“, sagt in Rio ein deutscher Wirtschaftsexperte gegenüber der taz und weist auf Arbeitslosigkeit und Firmenzusammenbrüche hin. Brasilianische Fachleute folgern ähnlich: In São Paulo, dem führenden Wirtschaftsstandort Lateinamerikas, lag die Erwerbslosenrate im September auf dem historischen Rekordniveau von 16,3 Prozent, chronische Unterbeschäftigung ist die Regel.

Seit São Paulos Börse tiefer als alle anderen gefallen ist, wird mit einer Rezession, zumindest aber einer deutlichen Konjunkturabkühlung gerechnet. Auch die Multis, von denen die Deutschen immerhin 15 Prozent der Industrieproduktion des Landes erbringen, reduzieren ihre Investitionen.

Höhere Arbeitslosigkeit droht auch von einer anderen Seite: Die meisten Teilstaaten der Föderation waren bereits hochverschuldet, bevor der 1994 gestartete „Plano Real“ zwecks Inflationssenkung und Anlockung von Auslandskapital Brasilien in die Spitzengruppe der Länder mit dem höchsten Zinsniveau katapultierte. Viele Teilstaaten, in denen der öffentliche Dienst der wichtigste Arbeitgeber ist, entließen in Massen, blieben zudem Löhne bis zu elf Monaten schuldig. Der jetzige Zinsschock bringt vor allem die stark unterentwickelten Teilstaaten des Nordostens in eine noch gravierendere Lage.

Bereits vor dem Crash ging der Prozentsatz zahlungsunfähiger Ratenkäufer und Scheckkartenbesitzer steil nach oben. Weil zu viele Brasilianer in der Euphorie einmalig niedriger Teurungsraten nach dem „Plano Real“-Start auf Kredit gekauft hatten, dann aber den Job verloren, kamen sie rasch in Schwierigkeiten. Viele Geschäfte verkaufen nicht mehr auf Kredit. Nach dem Börsenkrach waren tagelang vor allem in São Paulo die Läden erstaunlich leer. Zu Wochenbeginn stiegen São Paulos Kurse wieder – kein Experte spricht indessen von Entwarnung.

Bis zum Crash galt Präsident Cardosos Wiederwahl im nächsten Jahr als sicher; nun kann sich erstmals Brasiliens zersplitterte Linksopposition Chancen ausrechnen. Patricia Sholl