Chinas Regierung treibt unbeugsamen Kritiker ins Exil

■ Der Dissident Bao Ge darf kurz vor der Debatte im US-Repräsentantenhaus über Sanktionen gegen China das Land verlassen. Seine Kritik an den Menschenrechtsverletzungen wird Peking im Ausland kaum treffen

Berlin (taz) – Einer der bekanntesten Dissidenten Chinas, Bao Ge, hat gestern das Land in Richtung USA verlassen. Der 34jährige, einer der letzten aktiven Dissidenten, bestieg in Shanghai mit seiner Schwester ein Flugzeug nach New York. Am Freitag hatte der frühere Diplombiologe und Mitbegründer einer Menschenrechtsorganisation einen Paß bekommen.

Bao war erst im Juni nach dreijähriger Haft wegen „antirevolutionärer Propaganda“ aus einem Arbeitslager in der Provinz Jiangsu entlassen worden. Seitdem hatte er die Kritik an der Regierung fortgesetzt. Er erhob Klage gegen die Verwaltung des Lagers, in dem er inhaftiert war, und veröffentlichte neue Aufrufe zu demokratischen Reformen. Letzte Woche hatte er in einem offenen Brief an Partei- und Staatschef Jiang Zemin die Freilassung von zwölf Dissidenten gefordert.

Seit seiner Freilassung hatte Bao mit Schikanen zu kämpfen. Die Behörden verweigerten ihm eine Arbeitserlaubnis und überwachten ihn ständig. Wiederholt wurde ihm die Ausreise nahegelegt, seine Angehörigen und Freunde unter Druck gesetzt. Offenbar haben ihn die ständigen Schikanen zermürbt. Beim Abflug kündigte er an, mit taiwanischen und tibetischen Organisationen ein Bündnis für ein demokratisches China gründen zu wollen.

Baos „freiwillige“ Ausreise erfolgt für Chinas Regierung zu einem extrem günstigen Zeitpunkt. Gestern wollte das US-Repräsentantenhaus neun Gesetzesvorlagen debattieren, mit denen Peking für Menschenrechtsverletzungen bestraft werden soll. Die von den Republikanern eingebrachten Vorlagen sehen unter anderem vor, daß Vertreter Pekings kein US-Visum erhalten sollen, wenn sie für die Verfolgung von religiösen Minderheiten verantwortlich sind. Chinesische Firmen sollen auch keine von der US-Regierung unterstützten Kredite mehr bekommen. Präsident Clinton, der letzte Woche Jiang in Washington empfangen hatte, hat sich bereits dagegen ausgesprochen. Die Ausreisegenehmigung für Bao könnte darauf zielen, die Position der China-Kritiker zu schwächen.

„Daß Bao Ge ausreisen darf, ist nur ein winziger Schritt der chinesischen Regierung und zeigt nicht, daß sie die Menschenrechte anerkennt“, sagte Lee Cheuk Yan von der Hongkonger Menschenrechtsorganisation „Allianz zur Unterstützung der patriotischen-demokratischen Bewegung in China“ gegenüber der taz. Da Bao ins Exil getrieben worden sei, wäre die Ausreisegenehmigung keine humane Geste. Baos Einflußmöglichkeiten im Ausland nannte Lee „begrenzt“. Sven Hansen