Nur er und der Ball

Der Brasilianer Emerson führt Leverkusen zu einem 4:1 gegen Sporting Lissabon und begeistert das Publikum sowie  ■ Katrin Weber-Klüver

Leverkusen (taz) – Am Anfang waren alle sehr unglücklich. Paulo Sergio war weg, und es machte ganz und gar nicht den Eindruck, als könne Bayer Leverkusen ohne ihn auch nur annäherungsweise das Ziel für die neue Saison erreichen. Ausgegeben hatte es Trainer Christoph Daum, der solcherlei Vorgaben damals noch für Motivation hielt. Namentlich hatte er die Idee, die Plazierung zu verbessern. Und viel Luft nach oben gibt's für einen Vizemeister ja nicht mehr. Am Anfang war auch Paulo Sergio in Rom bei AS unglücklich, weil er nur Ergänzungsspieler war. Und in Leverkusen war er Leistungsträger und Publikumsliebling gewesen. So bandelte man wieder zart an zwischen Rhein und Tiber. Und da Leverkusen gar nicht ins Rollen zu kommen schien, träumte mancher von einer Sergio-Rückholaktion zum Winter. Dann sollte das Spiel wieder schön und erfolgreich und alles wieder gut werden.

Es kam aber anders. Seit Mittwoch, spätestens, gibt es einen neuen Helden in der Daumschen Dampftruppe. Und es ist gut möglich, daß er alles in den Schatten stellen wird, was seine brasilianischen Vorgänger erreicht haben. Denn natürlich ist er Brasilianer. Emerson Ferreira da Rosa ist das jüngste Beispiel dafür, daß Bayers durch Firmenniederlassungen begünstigte und akribisch gepflegte Brasilien-Connection zwar mitunter auch putzige Fehleinkäufe (wer erinnert sich noch an Ramon Hubner?) hervorbringt, aber eben auch das Gegenteil.

Weil alle in Leverkusen Schlitzohr-Strahlemann Sergio so geliebt hatten, besonders am Ende, hatte Emerson es am Anfang sehr schwer. Er spielt zwar gar nicht die Position des verlorenen Links-Offensiven, war aber nun mal eine Art landsmannschaftlicher Nachfolger. Und wurde daran gemessen, obwohl er zunächst nur sporadisch eingewechselt wurde. Gemeinhin ist es schließlich für einen kreativen Mittelfeldspieler nicht besonders dankbar, in verfahrenen Partien und sich auflösenden Formationen im letzten Spieldrittel noch gestaltend eingreifen zu wollen. Christoph Daum hatte damals gerade die Tugend der Geduld entdeckt. Und noch bevor er befand, daß er seine allwöchentlichen „Schicksalsspiele“ besser abschaffen sollte, weil so was auf Dauer eine Mannschaft mehr nervt als stimuliert, entschied er, Emerson behutsam in die Pflicht zu nehmen.

Mittlerweile hat sich Bayer in der Liga berappelt. Und mittlerweile darf Emerson von Anfang an spielen. Im vierten Bayer-Spiel in der Champions League zeigte der 21jährige endgültig, daß sich das auch besser nicht mehr ändern sollte. Daß Emerson präzise Pässe spielt, die Räume wie von selbst öffnen, ist erfreulich. Aber fast noch das geringste, schließlich ist er die Nummer Zehn. Und das hat selbst bei inflationär unsinniger Numerierung noch eine Bedeutung. Auch, daß er gern genau da schon ist, wo alsbald selbst minderbegabte Kollegen den besten Platz für ein Zuspiel erkennen, ist nicht das Spektakulärste. Nicht mal, daß er auch noch angelegentlich als Torschütze firmiert. Denn fast war es zuviel des Dominanten, daß ausgerechnet er beim 4:1 gegen Sporting Lissabon die entscheidenden Treffer zum 1:0 und 2:1 machte.

Nein, das Geniale an Emerson sind seine Zweikämpfe. Weil es gar keine sind. Es ist vielmehr, als bedeute für ihn, den Ball zu haben, daß der Ball und er nun für eine Zeit, die er bestimmt, unabänderlich zusammengehören. Nur er und der Ball. Da läuft er einfach los und außen um seinen Gegenspieler herum, und es kommt noch einer hinzu, und er läuft und die anderen hinterher – und man weiß ja, daß nun eine gemeine Grätsche kommen wird oder er sich in leichtem Größenwahn verstolpert – und nichts von beidem passiert. Denn Emerson weiß genau, was er tut. Die Gegenspieler aber nicht. Und wenn man es zum fünften Mal sieht, glaubt man immer noch nicht, daß es funktioniert. Und es funktioniert doch. Immer. (Na ja, nicht immer, aber ...) Das beschert einem die seltene Freude, sprachlos vor Staunen das Zusehen zu genießen.

So also nimmt nun Emerson das Spiel der Bayer-Elf in die Hand. Er macht es schöner und erfolgreicher. Und alle, alle Leverkusener sind von ihm begeistert. War da noch was? Ach ja: Alles Gute für Paulo Sergio, er möge sein Glück in Rom finden.

Sporting Lissabon: De Wilde – Vidigal, Marc Aurelio, Nene, Vinicius (40. Saber) – Berto, Martins (89. Luis Miguel), Oceano, Hadji – Leandro (76. Gimenez), Barbosa

Zuschauer: 22.500; Tore: 1:0 Emerson (16.), 1:1 Hadji (44.), 2:1 Emerson (74.), 3:1 Rink (83.) 4:1 Frydek (90.)

gelb-rote Karte: Vidigal wegen wiederholten Foulspiels (21.); rote Karte: Barbosa wegen Foulspiels (82.)

Leverkusen: Heinen – Happe – Wörns, Robert Kovac – Lehnhoff, Emerson, Ramelow, Nico Kovac (57. Frydek), Heintze – Kirsten (46. Rink), Meijer (87. Feldhoff)