"Träume passieren einfach"

■ Wie die meisten deutschen Regionalblätter ist die "Badische Zeitung" in Freiburg publizistische Alleinherrscherin. Ab Sonntag greifen Abtrünnige ihre Monopolstellung an

Das orange Licht eines Herbstnachmittages fällt auf das weiße Hochhaus in der Basler Straße. „Pressehaus“ steht oben dran, als ob es in Freiburg so einen Oberbegriff bräuchte. In ein paar Stunden, wenn es dunkel ist, wird der grüne Leuchtwürfel auf dem Dach des Gebäudes die beiden Buchstaben zeigen, auf die sich die Presse in Freiburg seit Jahrzehnten reduziert: BZ – Badische Zeitung.

Das soll sich ändern: Sieben abtrünnige BZ-Redakteure wollen ihren früheren Arbeitgeber in Bedrängnis bringen. Während in ganz Deutschland Zeitungsjournalisten resigniert über mobbende Chefs, zu wenig Recherchezeit und Überlastung nörgeln, machen die Freiburger ihre eigene Zeitung am Sonntag auf. Ab übermorgen soll die kostenlose ZaS in allen Briefkästen der Stadt stecken.

Nun ist die BZ all die Jahre kein publizistisches und Meinungsmache betreibendes Monster gewesen oder mangels Konkurrenz ein fades Lokalblättchen geworden. Die BZ erwarb sich unter Chefredakteur Ansgar Fürst den Ruf einer unabhängigen Regionalzeitung. Für eine Seite drei leisteten sich die Verleger eigene Reporter, auch sonst waren die Redaktionen gut besetzt. Auslandskorrespondenten teilte man sich mit der Frankfurter Rundschau oder dem Züricher Tagesanzeiger. Freilich deckte der Freiburg-Teil nicht ständig Skandale auf oder setzte eigene Themen, aber das paßte ja ins verschlafene Südbaden.

Doch seit Fürst in Rente gegangen ist, schnippeln die Verleger am Redaktionsetat herum, und in der Redaktion kracht es. Der schwelende Konflikt eskalierte im Sommer, als Fürst-Nachfolger Peter Christ seinem bundesweit angesehenen Feuilleton-Chef Gerhard Jörder kündigte. Kulturgrößen von Stuttgart bis Hamburg schrien auf, bis Jörder schließlich bleiben durfte und dafür der Chefredakteur gehen mußte. Daß es keinen wirklichen Wechsel geben würde, wurde klar, als der Verlag Rainer Hupe zum Sprecher einer neuen Chefredaktion machte. Hupe war mit Christ nach Freiburg gekommen und hatte die Auseinandersetzungen im nüchternen Managerstil kommentiert: „In Freiburg hat man einfach noch nicht kapiert, daß Rudi Dutschke tot ist.“

Großer Sportteil soll Sonntagsvorteil nutzen

Ein Hinterhaus im Altbau-Viertel Wiehre. Das Treppenhaus ist mit Computer-Kartons zugestellt. Dahinter verbreiten ZaS-Redakteure hektische Anspannung und tun so, als ob sie alles neu erfinden dürften. Gemeinsam schrauben sie ihre Ikea-Regale zusammen. Indes hat die Nullnummer ein modernes Layout, mehrfarbig, aber dezent – die Woche wird Augen machen. Darin Texte über „Glotzengott“ Leo Kirch oder „Flankengott“ Andreas Möller. Ein ausführlicher Sportteil soll den Sonntags-Vorteil nutzen, ein „Veranstaltungs-Feuilleton“ die Zeitung über die Woche frisch halten.

„Das eine ist der Riese“, erklärt Michael Zäh, der sich mit den Aussteigern zusammengetan hat, „und wir versuchen eine Nische zu besetzen.“ Der 38jährige ZaS-Herausgeber spricht meist leise und lächelt süffisant. Das Fußballmagazin Hattrick hat er von Freiburg aus bundesweit etabliert, für die neue Sonntagszeitung den Verlag der Basler Zeitung als 15prozentigen Gesellschafter gewonnen, an reiche Freiburger verkauft er stille Teilhaberschaften ab 50.000 Mark. Mit journalistischem Niveau hofft Zäh, genug Anzeigen zu verkaufen. Aber: „Ich habe alle eindringlich auf das Risiko hingewiesen.“

Wolfgang Prosinger ist das Risiko eingegangen. Der kleine Mann ist 49 Jahre alt, war 23 davon „mit der Badischen Zeitung verheiratet“ und zuletzt Reportage-Chef. „Der Job ist eigentlich der schönste, den ich mir bei einer Tageszeitung denken kann“, sagt er. Eigentlich. Denn der Wind sei rauher geworden: „Die familiäre Atmosphäre hat stark gelitten.“ Prosinger ist, wie alle Abtrünnigen, vorsichtig. Bei der Vertragsauflösung mußte jeder zusichern, nicht zu sagen, was im Pressehaus abgelaufen ist: daß die Personaltaktik der Verleger immer unberechenbarer wurde; daß die Ressortleiter zunehmend weniger zu sagen hatten, die Chefredaktion dafür immer mehr. Und so sagen auch die Sportredakteure Christoph Kieslich (34) und Thomas Vögele (44) nur, sie seien im richtigen Alter für einen Berufswechsel gewesen: „Wir fanden die BZ spitze.“

Die Konkurrenz kommt gar nicht ungelegen

Schlechte Stimmung im Haus? Im BZ-Gebäude winkt Chefredakteur Rainer Hupe ab. „Das wird immer so kolportiert, aber das ist nicht durchgängig der Grund“, sagt der 50jährige mit der durchsichtigen Plastikbrille. Es stimme ebenfalls nicht, daß etwa die Reportage-Redaktion vom Sparen bedroht gewesen wäre: „Das ist definitiv nicht so.“ Komisch. Die Seite drei ist nun der Chefredaktion zugeordnet, und wo jetzt ein Redakteur sitzt, saßen vorher drei. Dafür wird im Sportressort wieder aufgefüllt. Sport sei doch „ein wesentliches Kampffeld“ der Sonntagszeitung, sagt Hupe, da müsse man mindestens wieder so stark werden. „Wir wären ja mit dem Klammerbeutel gepudert.“ Konkurrenz belebt das Geschäft.

Und Konkurrenz hilft den BZ- Aussteigern, das verlorengegangene Familiengefühl wiederzufinden. Mit einer „chaotischen Organisationsform“ wollen sie so lange wie möglich ohne Chefredakteur auskommen. Gemeinsam planen sie seit Monaten ihr Blatt. Tags schufteten einige noch bei der Monopolzeitung, abends und an freien Tagen brachten sie die Konkurrenz auf den Weg. Für die BZ- Chefredaktion konnte die ZaS freilich nicht so ungelegen kommen, da sich die Blicke der Redakteure nun weniger auf sie, als auf die neue Konkurrenz richten werden. Hupe sagt, die ZaS sei natürlich nur ein Anzeigenblatt und wiederholt es noch einmal, damit er selbst dran glauben kann. „Und es bleibt ein Anzeigenblatt. Eine schöne Dame, die sich aber in der Gosse feilbietet.“

ZaS-Redakteur Wolfgang Prosingers funkeln die Augen. „Wir werden so viel redaktionellen Teil und so viele Anzeigen haben, daß man Mühe haben wird, die Zeitung in den Briefkastenschlitz zu quetschen.“ Und vielleicht einmal eine überregionale ZaS? „Träume gibt's, Träume sind nicht verboten, Träume passieren einem einfach so. Aber ich halt's zunächst für Träume.“ Ein Jahr soll die Finanzierung des Projekts gesichert sein. Danach wird Freiburg sehen, ob Träume noch Wirklichkeit werden. Obwohl Rudi Dutschke tot ist. Georg Löwisch