Nigerias militärische Machtpolitik

■ Sierra Leone fordert den Rückzug Nigerias und verärgert damit dessen Militär, das aber zugleich den Abzug aus Liberia betreibt

Berlin (taz) – Die westafrikanische Regionalmacht Nigeria gerät unter Druck, ihre Interventionstruppen aus Sierra Leone abzuziehen, und überlegt gleichzeitig den Rückzug aus Liberia. Diese Diskussion nährt die Angst vor einer erneuten Destabilisierung dieser ehemaligen Bürgerkriegsstaaten.

Dies betrifft insbesondere Sierra Leone, wo die seit Mai herrschende Militärregierung am 23. Oktober in Verhandlungen mit der westafrikanischen Regionalorganisation Ecowas die Rückgabe der Macht an die zivile Vorgängeradministration innerhalb von sechs Monaten zusagte. Es wurde vereinbart, daß die nigerianisch geführte westafrikanische Ecomog- Eingreiftruppe in Sierra Leone die kämpfenden Gruppen entwaffnet. Aber jetzt hat Sierra Leones Juntachef Johnny Koroma verlangt, daß auch die Nigerianer abgezogen und entwaffnet werden sollten, weil sie in den letzten Monaten an Kampfhandlungen in Sierra Leone teilgenommen haben. „Sie sind die Initiatoren der jüngsten unprovozierten Aggression gegen unser Land. Sie müssen sofort gehen“, sagte Koroma am Dienstag. In einer neuen Eingreiftruppe, fuhr er fort, dürften sich keine Nigerianer befinden. Diese Forderung wurde von Anhängern des im Mai gestürzten Zivilregimes sogleich als Aufkündigung des Friedensabkommens gewertet. In Sierra Leones Hauptstadt Freetown herrscht nun Sorge vor neuen nigerianischen Angriffen. Anfang November bereits zirkulierten Gerüchte, nigerianische Soldaten seien dabei, verkleidet als Mitglieder der gegen die Militärregierung kämpfenden Kamajor-Milizen die Hauptstadt zu infiltrieren.

Die Krise in Sierra Leone fällt zusammen mit einer Debatte um die Zukunft der Ecomog-Eingreiftruppe im benachbarten Liberia. Die dort seit 1990 stationierte Ecomog-Truppe hat erfolgreich den siebenjährigen Bürgerkrieg beendet, die kämpfenden Milizen entwaffnet und im Juli erste freie Wahlen überwacht. Sieger war der ehemalige Guerillaführer Charles Taylor, der die Ecomog jahrelang bekämpft hatte. Da es neben der Ecomog heute keine Armee in Liberia mehr gibt, will Taylor schnell eine eigene Armee aufbauen und die Nigerianer loswerden.

Als ersten Schritt entsandte Taylor letzte Woche 1.000 ehemalige Milizionäre in eine neugebildete Grenzpolizei zur Überwachung der Grenze nach Sierra Leone. Die Ecomog, die bisher ungestört von Liberia aus ihre Eingriffe in Sierra Leone steuerte, sieht das nicht gern, denn Taylor ist ein Kritiker des nigerianischen Vorgehens in Sierra Leone. Die Reaktion des nigerianischen Ecomog-Chefs Victor Malu: Die Ecomog könne Liberia ja schon dieses Jahr verlassen, statt wie vorgesehen 1998.

Doch ein so schneller Ecomog- Abzug ließe Taylor keine Zeit zum Aufbau einer Armee. Vielmehr könnte in so einem militärischen Vakuum der liberianische Bürgerkrieg neu aufflammen. In Guinea, das an Liberia und Sierra Leone angrenzt, trainieren angeblich bereits Exmilizionäre aus Taylor- feindlichen liberianischen Gruppen. Dominic Johnson