Keine Abschiedsszenen im Aufsichtsrat

Das Bundeskabinett verabschiedet eine Aktienrechtsreform fast ohne Inhalt. Die Zahl der Aufsichtsratsmandate wird nicht beschränkt, und auch das Depotstimmrecht der Banken bleibt im Prinzip unangetastet  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Es war wohl nicht länger hinauszuzögern: Gestern verabschiedet das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf von Justizminister Edzard Schmidt-Jorzig (FDP) zum Aktienrecht. Offiziell soll es die Macht der Banken begrenzen und mehr Transparenz in Unternehmen bringen. Doch tatsächlich gehen die Vorschläge nach jahrelanger Lobbyarbeit der Geldinstitute fast nirgends über die bisherigen Regeln hinaus. Noch in den vergangenen Tagen waren Vorschriften weiter verwässert worden.

Ursprünglich wollten Union und FDP die Zahl der Aufsichtsräte in den Unternehmen auf zehn oder zwölf Leute beschränken, um die Mitglieder zu mehr Aufmerksamkeit und Verantwortung zu bewegen. Doch in diesem Fall protestierten vor allem Arbeitnehmervertreter – und so soll es bei 20 Sesseln in dem Gremium bleiben.

Genau wie bisher darf auch weiterhin eine Person in zehn Aufsichtsräten gleichzeitig sitzen; lediglich der Chefposten soll doppelt angerechnet werden. Sowohl SPD als auch die Bündnisgrünen und der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) fordern in jeweils eigenen Gesetzentwürfen, daß ein Mensch höchstens fünf Aufsichtsratsmandate bekleiden darf. Immerhin wird der Aufwand für die Herren und wenigen Damen auch bei Schmidt-Jorzigs Gesetzentwurf etwas größer: Vier- statt bisher zweimal im Jahr müssen sie zusammentreffen. Bei ihrer Kandidatur sind sie verpflichtet, den Aktionären Beruf und andere Aufsichtsratsposten zu verraten.

Beim Depotstimmrecht will die Regierung ebenfalls nur eine kleine Korrektur vornehmen. Banken sollen ihre Aktienkunden auch weiterhin pauschal auf Hauptversammlungen vertreten. Nur wenn das Kreditinstitut mehr als fünf Prozent an einem Unternehmen hält und die Stimmrechte beim jährlichen Besitzertreffen ausüben will, darf es für die Kleinaktionäre nur mit Einzelanweisung stimmen. Grundsätzlich sollen die Banker verpflichtet werden, ihre Kundschaft über die Existenz von Aktionärsvereinigungen aufzuklären. Die Opposition will dagegen das Depotstimmrecht völlig abschaffen und professionellen Aktionärsvertretern die Stimmen abwesender Kleinaktionäre übertragen.

Im Gesetzentwurf der Koalition ist außerdem vorgesehen, daß Unternehmen künftig keine Höchst- und Mehrfachstimmrechte einführen dürfen. Wo sie noch existieren, sollen sie in zwei Jahren abgeschafft sein. Explizite Ausnahme: die Volkswagen AG. Bei ihr sollen Beteiligungen von mehr als 20 Prozent verboten bleiben. Dieser Anteil entspricht exakt dem des Landes Niedersachsen. Dahinter steht die niedersächsische CDU, die diese Regelung mit Blick auf den anstehenden Landtagswahlkampf verlangt hatte. Ohne den so garantierten Einfluß der Regierung in Hannover auf VW hätte sie ihre Chancen gegen SPD-Ministerpräsident Gerhard Schröder noch weiter schwinden sehen.