Analyse
: Streikhelfer Kohl

■ Indem die Lkw-Fahrer Frankreich lahmlegen, bewegen sie Europa

Wenn der Christdemokrat Helmut Kohl und der New- Labour-Chef Tony Blair gemeinsam an einem Strang gegen die rot-rosa-grüne Regierung in Paris ziehen, bewegt sich was im Herzen Europas. Erstens bahnt sich da ein Dreieck an der Stelle der bewährten Zweierbeziehung an. Zweitens drängen rein monetäre und markttechnische Argumente die sozialpolitischen Erwägungen immer weiter ins europäische Abseits. Und drittens schwindet – zumal seit dem Bonner Abschied von einer institutionellen Reform der EU – die Aussicht auf ein föderales Europa als starkes politisches Regulativ.

Bei der 35-Stunden-Woche haben Kohl und Blair ihre Kritik noch relativ zurückgehalten. Bei den Lkw-Streiks sind sie damit jetzt lautstark geworden. Dennoch befindet sich Frankreich nicht ganz auf verlorenem Posten. Das ist zum einen einer simplen geographischen Realität geschuldet: An dem europäischen Reich der Mitte führt kein terrestrischer Weg vorbei. Zum anderen dürfen sich die französischen Arbeiterbewegten, nicht nur in der Lkw-Branche, zu Recht als Verteidiger von objektiven Interessen verstehen, die auch jenseits der Landesgrenzen existieren. Und schließlich weiß Paris, daß eine Dreierbeziehung eine neue Dynamik eröffnet, bei der der Verlierer auch mal wechseln kann.

Die französische Extratour hat dennoch Grenzen. Die nächstliegende wird am 1. Juli 1998 wirksam, wenn der grenzenlose europäische Transportmarkt eröffnet. Theoretisch können dann niederländische Fuhrunternehmer französische Austern von La Rochelle nach Paris befördern.

Insofern ist der gegenwärtige Konflikt die voraussichtlich letzte Gelegenheit der französischen Lkw-Fahrer, Eckdaten für ihre soziale Absicherung zu verlangen. Die Herren Kohl und Blair sind dabei, ohne es zu wollen, zu ihren objektiven Unterstützern geworden. Ohne den großen Druck aus dem Ausland wäre es vermutlich nicht schon nach drei Streiktagen zur Anbahnung einer Einigung gekommen.

In Zukunft können derartige, letztlich nationale, Mechanismen nicht mehr greifen. Wenn die Oberaufsicht über den Transportmarkt erst einmal in Brüssel angesiedelt ist, müssen auch die Gewerkschaften europäisch agieren. Bislang haben sie dazu wenig Befähigung gezeigt.

Wenn in Zukunft wieder irgendwo in Europa Lkw-Fahrer oder andere Beschäftigte für ihre Rechte kämpfen wollen, sind neue Strukturen nötig, um Erfolg zu haben. Wie es gehen könnte, war im März am Beispiel des ersten „Eurostreiks“ sichtbar, als Franzosen, Belgier und Spanier gemeinsam die Arbeit niederlegten, um gegen die Schließung des belgischen Renault-Werkes von Vilvoorde zu protestieren. Dorothea Hahn, Paris