Schwierigkeiten mit der Katharsis

■ Kontrabassist versus Deutsche Oper wg. „Adolf Hitler“

„Dieser schlimme, unentschuldbare und skandalöse Vorfall ist inzwischen doch so etwas geworden wie eine Katharsis.“ Mit diesen Worten kommentierte der Intendant der Deutschen Oper Berlin, Götz Friedrich, den Platzregen der Empörung, der nach der „Adolf Hitler“-Unterschrift seines Kontrabassisten unter die Rechnung eines Hotels in Tel Aviv anläßlich eines Gastspiels in Israel auf die deutsche Öffentlichkeit niederprasselte. Bloß, welche Katharsis meinte der Intendant? Die, kraft derer man sich von Furcht und Mitleid reinigt, oder die, bei der Mitleid und Furcht den Reinigungsprozeß hervorrufen, oder die, wo Mitleid und Furcht gereinigt werden zwecks höheren sittlichen Empfindens? Nach kurzer Zeit des Rätselns war klar: Friedrich meinte es wörtlich. Das Orchester sollte von dem Kontrabassisten gereinigt werden, damit es wieder blitzeblank (wenngleich mit einer unschönen Beule) auf Verständigungs- und Versöhnungsfahrt gehen kann. Gegen diese Art der Reinigung ist Kontrabassist Reinke jetzt vors Arbeitsgericht gezogen.

Schon kurze Zeit nach Reinkes Angriff auf die Völkerverständigung nahm sich der Schweizer Psychoanalytiker und Journalist Peter Schneider des „Vorfalls“ an. In einem scharfsinnigen Beitrag für die Hamburger Zeitschrift Mittelweg 36 argumentierte er, die öffentliche Empörung über die „Adolf Hitler“-Abzeichnung verrate „eine Schuldlust, einen Genuß an der Identifikation mit Verbrechen, die man selbst nicht begangen hat“.

Aber diese Lust muß zensiert werden, wenn sie ausgelebt werden will. Gegen diese Zensur verstieß nach Meinung Schneiders der Kontrabassist. Indem er mit „Adolf Hitler“ zeichnete, ließ er einen Augenblick lang die Voraussetzung des Versöhnungskitschs, das „lustvolle Einrichten in der Situation der Schuld“, aufblitzen. Natürlich läßt sich Schneiders Argument nicht umstandslos auf die Empörung und das Entsetzen derer anwenden, die, über 50 Jahre nach dem Ende Hitlers, erstmalig oder immer noch mit den Verbrechen des Nazismus konfrontiert werden. Aber etwas mehr Selbstreflexion könnte nicht schaden. Und etwas mehr psychologisch informierte öffentliche Debatte.

Aber wie es uns in Deutschland geziemt, wird die Auseinandersetzung auf juristische Ebene transportiert und – zuungunsten von Reinke – entschieden. Auch eine Art von Katharsis. Christian Semler