Das Geheimnis von Hohehorst

■ Heute werden in dem prunkvollen Haus „Hohehorst“in Schwanewede ehemalige Junkies therapiert – während der Nazizeit gebaren „rassisch-wertvolle“Mütter hier im „Lebensborn-Heim Friesland“ihre Kinder, um die „Sippengemeinschaft“zu erhalten

Ein Schloß wie aus einem Märchen. Das Eingangsportal wird von vier mächtigen Säulen getragen. Die Stämme der Bäume in dem riesigen Park, der den prunkvollen Bau umgibt und ihn vor den Blicken Neugierer schützt, sind mit grünem Moos überzogen und so dick, das sie bestimmt über 100 Jahresringe zählen. Steinfiguren zieren den Balkon auf der Rückseite des Hauses. Auf dem türkis angelaufenen Kupferdach zeigt ein kleines Türmchen die Himmelrichtung an. Eine Industriellen-Familie baute das Haus 1928/29. Das Gebäude hatte damals 75 Räume, zwölf Bäder, Herren- und Damenzimmer, Rotwein- und Weißweinkeller. Die Haustür ist so hoch, das sie den Namen nicht verdient. Der Weg führt in einen dunklen Aufenthaltsraum. Ein offener Kamin, ganz in Marmor gehalten. Junge Leute sitzen auf Korbmöbeln, trinken Tee und unterhalten sich. Heute werden in Hohehorst ehemalige Drogenabhängige therapiert. Auf den ersten Blick erinnert nichts mehr an die wechselvolle Geschichte des Hauses, in dem „rassisch wertvolle“Frauen, ihre Kinder zur Welt gebracht haben. Das Haus gehörte ab 1937 dem Lebensborn, einer SS-Organisation, mit deren Hilfe Heinrich Himmler eine neue Elite heranzüchten wollte (siehe Stichwort). 217 Babies kamen von 1938 bis 1945 im Heim „Friesland“zur Welt (68 eheliche und 149 uneheliche).

Die Bremer Journalistin Dorothee Schmitz-Köster hat in ihrem Buch „Deutsche Mutter, bist Du bereit“den Alltag im Lebensborn am Beispiel Hohehorst beleuchtet. Sie hat mit Müttern, ehemaligen Angestellten und Kindern gesprochen, die in Hohehorst gelebt haben. Sie traf Frauen wie die Hebamme Therese S. Als sie 1938 zum Lebensborn kam, war sie 22 Jahre alt, ledig und schwanger. Niemand durfte davon erfahren, sonst hätte sie ihr Hebammenexamen nicht ablegen können. Weil der Vater ein hoher SA-Mann war, konnte sie im Lebensborn unterschlüpfen und ihr Kind unter dem Siegel der Verschwiegenheit zur Welt bringen. Anschließend fand sie im Lebensborn sogar eine Anstellung als Hebamme. Daß der Lebensborn ein Instrument zur Steuerung der Rassenpolitik war, will sie bis heute nicht glauben. „Mißgeburten“und „Kroppzeug“habe es in Hohehorst nicht gegeben, betont die 80jährige noch heute.

Für Gerda B., eine ledige Mutter, hatte der Lebensborn die Vormundschaft übernommen. Als die Kinderschwester ein Foto von ihrem Sohn macht, muß sie sich hinter ihm verstecken, wegen der Geheimhaltung. Plötzlich hat sie angst, daß der Lebensborn ihr das Kind wegnimmt. Als ihr Vater seinen Enkel kurz darauf aufnehmen will, sperrt sich der Lebenborn.

Sie hätten nicht gewußt, daß der Lebensborn ein Instrument zur Steuerung der Rassenpolitik gewesen sei, versichern die Frauen einvernehmlich. Daß ihren Kindern bei der Namensgebung ein Dolch auf den Bauch gelegt wurde und das Ritual eingeleitet wurde mit den Worten: „Deutsche Mutter, bist Du bereit“, beeindruckte sie. Die „rassische Beurteilung“, die Voraussetzung für die Aufnahme im Heim Friesland war, schreckte sie nicht. Sie hätten damals ohnehin überall einen Ariernachweis vorlegen müssen, versicherten sie der Autorin achselzuckend.

Gebhard H., der 1939 in Hohehorst geboren wurde, kann sich noch deutlich an das imposante Gebäude erinnern. Außerdem hatte er ein „superblondes Kindermädchen“, das er anhimmelte.

Noch heute umgibt Hohehorst eine Aura des Geheimnissvollen. Die Geschichte von „Heim Friesland“, das als eines der schönsten Lebensborn-Heime galt, ist bis heute kaum bekannt. Selbst gebürtige Bremen-Norder wissen nur, „daß das wohl mal ein Trinker-Heim“war. Auch der Taxifahrer kann sich nur daran erinnern, daß in Hohehorst mal eine Lungenheilanstalt untergebracht war. Das Buch von Dorothee Schmitz-Köster ist jedoch nicht nur als Bremensie interessant. Die Autorin läßt die betroffenen Frauen sprechen, die bislang in den Veröffentlichungen über den Lebensborn kaum zu Wort gekommen sind. Sie vermittelt ein eindringliches Bild vom Alltag im Lebensborn und der nationalsozialistischen Rassenpolitik in Deuschland. Kerstin Schneider

Dorothee Schmitz-Köster: Deutsche Mutter, bist Du bereit. - Aufbau-Verlag, Berlin, 1997.- Lesungen: 10.11. im Gustav-Heinemann-Bürgerhaus, Vegesack. 30.11. Therapiezentrum Hohehorst, Hauptstraße 1.