"Schön ruhig war es hier"

■ Am Sonntag wird an der Bernauer Straße der Grundstein für die Mauergedenkstätte gelegt. Die Bewohner der umliegenden Häuser erinnern sich noch gut an den Alltag im Grenzgebiet

Nur eine alte Peitschenlampe steht noch einsam am Eingang des Mauerparks. Beim Abriß der Grenzanlagen ist sie offensichtlich vergessen worden. Durch den leichten, kühlen Regen schweift der Blick über das wild gewachsene Gestrüpp auf der anderen Straßenseite. An den Fassaden hängen noch die Strahler, die die kargen Hinterhöfe beleuchteten. Hier wohnte man im Grenzgebiet.

In der Schönholzer Straße ragt aus einer Hauswand noch ein rot- weißer Balken heraus. Ab hier durften nur noch die Anwohner die Straße betreten. Die Flure der vier Häuser an der Brunnenstraße wirken heute noch beängstigend: Um in das Treppenhaus zu gelangen, muß man im hinteren Flurbereich eine zweite Tür passieren, vor der sich eine Gegensprechanlage befindet.

Frau E., die in die Kremmener Straße zog, als ihr Mann beim Innenministerium arbeitete, hatte auf der Fensterbank in der Küche immer ein Fernrohr liegen. Anstelle eines Dia-Abends inszenierte man, wenn Besuch kam, das Schauspiel: Beobachtung des Klassenfeindes. „Das mußte ich meinen Kindern erst mal klarmachen“, sagt sie. „Einen Abend fragte mein Sohn: Was ist da drüben? – Das ist Ausland, nichtsozialistisches Ausland! – Wie wollen Sie das erklären? Am nächsten Tag ging das wieder los: Wem gehören denn die Autos? Sind das Kapitalisten? – Nein, das sind Arbeiter. – Und so schöne Autos können die sich kaufen? – Vorzüge der kapitalistischen Ausbeutung.“

Ein Stück weiter unten, in der Strelitzstraße, besuche ich Frau Z., eine über 80jährige Frau. Einmal sei sie schon überfallen worden, sagt sie, tagsüber im Treppenhaus hätte man ihr eins übergezogen. Das war nach der Maueröffnung. „Schön ruhig war es hier an der Mauer, nee, heute, alles was recht ist, nee, nee ...“ Die Wohnung ist von funktionaler DDR-Bescheidenheit geprägt. Die Küche fast leer, die Wohnzimmerdecke mit Laminatholz-Vierecken abgehängt, die Blümchentapeten vergilbt. „Ich bin alt, ich brauche ja nicht viel“, sagt sie. Ihr einziger Luxus aus dem Westen ist ein großer Farbfernseher mit Fernbedienung. Auf dem verwilderten Grundstück vor ihrem Haus haben die Bewohner im Sommer Partys gefeiert. Ohne Besuch, versteht sich. Alltag im Grenzgebiet. Einmal wollte ein Mann im Suff auf die Hinterlandmauer klettern. „Der hat nicht mehr nach Hause gefunden, ist in die falsche Richtung gegangen.“ Frau Z. hat ihn zurückgeholt.

In den Häusern Ackerstraße 39 und 40 reagieren die Mieter zurückhaltend. Im ersten Stock wohnt Frau P. seit den sechziger Jahren. Sie öffnet die Wohnungstür nur mit Vorhängekette. „Um Gottes Willen gehen Sie wieder, die waren hier alle Stasi“, und dann setzt sie beschwörend hinzu: „Ich rede nicht – die wohnen hier alle noch...“ Das Gespenst der gegenseitigen Bespitzelung spukt noch. Schließlich wurde der Dachboden von Grenztruppen genutzt und der Seitenflügel zusammen mit der Versöhnungskirche noch 1985 gesprengt. Dort befindet sich jetzt ein kleiner Spielplatz.

Frau E. war ganz gerührt, als sie ihr Küchenfenster 1989 zum ersten Mal von außen sehen konnte: damals hat sich für sie ein ganz neuer Blick aufgetan. „Man lebt anders als früher. Nur, daß man sich früher mehr gefreut hat. Das schon.“ Christiane Bartelsen