München soll ein Licht aufgehen

■ Mit einer Lichtinstallation am Alten Rathaus will der Künstler Wolfram Kastner 1998 an 60 Jahre „Reichskristallnacht“ erinnern

München (taz) – Wolfram Kastner will „Licht ins Dunkel der Geschichte“ bringen. Gestern stellte der Münchner Künstler ein Projekt vor, das ein öffentliches Erinnerungszeichen an die Pogromnacht von 1938 setzen soll.

In der Nacht zum 9. November 1938 hatte Joseph Goebbels im Festsaal des Alten Rathauses in München zum Pogrom gegen jüdische Bürger in Deutschland aufgerufen – bei einem „geselligen Zusammensein“ der NSDAP-Führer zur Erinnerung an den Hitler- Putsch von 1923. In der darauffolgenden Nacht, der „Reichskristallnacht“, gingen die Nazis in vielen deutschen Städten brutal gegen jüdische Bürger vor. 91 Menschen wurden ermordet, 30.000 in Konzentrationslager verschleppt. 191 Synagogen wurden zerstört, fast alle jüdischen Friedhöfe verwüstet, 7.500 Geschäfte zerstört.

Bis heute befindet sich an dieser Stelle im Herzen Münchens kein Hinweis zur Erinnerung an das, was da bei legierter Blumenkohlsuppe sowie Kalbs- und Schweinebraten beschlossen wurde. Was es gibt, ist ein Relief für die deutschen Kriegsgefangenen („Ihre Leiden bleiben unvergessen“) neben dem Eingang und eine Fototafel im Foyer mit Aufnahmen des zerstörten Münchens und der Aufschrift „1945 mahnt: nie wieder Krieg!“

Für den Künstler Wolfram Kastner, der seit Jahren immer wieder phantasievolle „Aktionen gegen das Vergessen“ durchführt, entstand damit „der Eindruck, als gelte es an diesem Ort, sich vor allem der deutschen Verluste sichtbar zu erinnern, wobei deutsche Verbrechen als Ursache im dunkeln bleiben“. Kastner plant nun, ab dem 9. November 1998, anläßlich des 60. Jahrestages der „Reichskristallnacht“, eine Lichtinstallation. An die Außenmauer des Alten Rathauses sollen kurze Texte sowie Bilder zu den damaligen Ereignissen projiziert werden. Die Projektionen sollen jeden Abend ab Einbruch der Dunkelheit bis 24 Uhr eingeschaltet werden – auf unbestimmte Zeit: „Ein Ende der Erinnerung ist nicht vorgesehen.“

Wolfram Kastner versteht sich als Erinnerungsarbeiter. Denn kaum jemand wisse heute noch, daß zu den Pogromen im Alten Rathaussaal aufgerufen wurde. Ihm genüge es nicht, nur der Opfer zu gedenken, „man muß auch die Erinnerung an die Täter und die Verbrechen sichtbar machen“. Und sei es erst 60 Jahre danach.

Seit Montag nun haben alle Stadtratsfraktionen den Vorschlag in den Händen. Eine Reihe von Institutionen, wie das Israel Museum in Jerusalem und das Holocaust Memorial Museum in Washington, unterstützen das Projekt. Thomas Pampuch