„Entspannt sein ist gefährlich“

■ Rae McGrath hat die Internationale Kampagne zum Verbot von Landminen mitgegründet. Der Exsoldat trainiert heute Minenräumer

taz: Sie waren Soldat in der britischen Armee, heute räumen Sie Minen. Wie kam es zu diesem Bruch in Ihrem Leben?

Rae McGrath: Ich bin zur Armee gegangen, weil es in Liverpool damals keine Jobs gab. 18 Jahre war ich in der Armee. Mir ging es nicht schlecht. Dort habe ich auch das Minenräumen gelernt. Aber es ist eine negative Art zu leben.

Was heißt negative Art?

Man wird eingesetzt, wenn die Humanität zusammengebrochen ist. Ich war in Hongkong, als dort die ersten Boat people landeten. Da habe ich gesehen, wie Flüchtlingskinder im Dreck der Camps verkamen, obwohl es so einfach gewesen wäre, die Situation dort zu verbessern. Und jeder britsche Soldat in Nordirland bekommt nach einiger Zeit Zweifel. Man sieht die geschriebenen Befehle und was das Verteidigungsministerium im Fernsehen sagt. Irgendwann versteht man dann, daß das Militär nie die Lösung des Problems sein kann – auch wenn das Militär manchmal Zeit für Lösungen schaffen kann. Meist wird das Militär nur politisch benutzt. Ich wollte mich nicht mehr benutzen lassen.

1983 haben Sie die Armee verlassen.

Ich kann mich nicht erinnern, mir fehlen da mehrere Tage.

Wie arbeiten Sie konkret?

Vor kurzem war ich drei Wochen in Afghanistan. Um fünf beginnt der Tag. Zuerst wird das Equipment überprüft. Dann geht es raus aufs Minenfeld. Ich beobachte die lokalen Räumteams und gebe Hilfestellung. Besonders gefährlich ist es, wenn die Leute sehr erfahren sind und entspannt arbeiten. Dann passen sie nicht mehr so gut auf. Manchmal räumen wir in Ruinen von Häusern, die schon vor Jahren zusammengebrochen sind. Solche Minen muß man aufrecht stehend räumen; das ist sehr gefährlich und nervenaufreibend.

Haben Sie dann Angst?

Es wäre Quatsch zu sagen, der Job ist ungefährlich. Es geht um Explosionskörper, die so konstruiert sind, daß sie Menschen töten oder verletzen sollen. Manchmal muß jeder Zentimeter Boden untersucht werden – erst elektronisch und dann mit einer Sonde. Nach zwanzig Minuten muß man Pause machen, sonst läßt die Konzentration zu sehr nach.

Und wenn doch etwas passiert?

Es springen immer mal Leute ab, besonders wenn ein Unfall passiert und sie noch nicht lange beim Team sind. Wenn eine Explosion stattfindet, wird die Arbeit sofort eingestellt. Der Teamleiter bringt die anderen zu einem sicheren Platz, und der Arzt, der zu jedem Team dazugehört, kümmert sich um den Verletzten. Das ist nicht so einfach – man muß vorsichtig sein, weil manchmal zwei Minen dicht nebeneinander liegen. Unfälle sind auch eine Art Übung: Ein Fehler ist passiert – daraus muß man lernen; vielleicht war die Ausbildung nicht hinreichend.

Und wenn es Tote gibt?

Nach einem Unfall bekommt das ganze Team für den Rest des Tages frei. Viele müssen über den Schock reden. Nach einem tödlichen Unfall warten wir zwei Tage. Aber dann muß es weitergehen. Gutausgebildeten Minenräumteams passieren aber nicht mehr Unfälle als Bautrupps, die Brücken und Straßen in Afrika bauen.

Woher kommen die Minenräumer?

Wir arbeiten immer mit Leuten aus dem Land. Manchmal sind ein oder zwei ausländische Experten dabei. Das wichtigste ist, daß die Bewohner der verminten Region später Vertrauen in die Arbeit haben. In Kambodscha arbeiten wir oft mit Leuten, die durch Minen ein Bein verloren haben. Die haben so die Möglichkeit, etwas gegen die Situation zu tun, die sie verkrüppelt hat. Außerdem arbeiten dort viele Minenräumerinnen. Frauen und Männer können das gleich gut.

Gibt es für Sie eine Unterscheidung zwischen militärisch akzeptablen Panzerminen und häßlichen Antipersonenminen?

Alle Minen sind häßlich. Nach dem Konflikt sind Antipersonenminen ein größeres Problem, sie sollen Leute direkt umbringen. Aber auch immer mehr Panzerminen werden so gebaut, daß sie nicht entschärft werden können. Die sind dann dazu gemacht, Leute wie mich in die Luft zu sprengen. Das kann ich nicht ausstehen.