Atomkraft
: Kein Protest gegen Brennelemente-Fabrik

■ Atom-Fabrik erweitert ihre Kapazität, und die Lingener schweigen

Lingen. Gorleben, Wackersdorf, Brokdorf – diese Namen kennt fast jeder. Atomkraft-Gegner haben sich hier unzählige Schlachten mit der Polizei geliefert. Fast unbekannt ist dagegen Lingen – dabei steht in der emsländischen Stadt neben einem großen Atomkraftwerk auch die einzige deutsche Fabrik für Brennelemente (BE). Der Pressesprecher der Betreiberfirma Advanced Nuclear Fuels GmbH (ANF), Klaus Rodat, kann sich über Demonstranten bestimmt nicht beklagen. Er erinnert sich nur noch dunkel an eine Protest-Demo: „Vor etwa zwölf Jahren war das; da standen mal neun Leute vor unserm Tor.“

650 Tonnen Uran

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat das niedersächsische Umweltministerium vor einigen Monaten eine Kapazitätserweiterung der Fabrik für Brennelemente genehmigt: Statt wie bisher 400 Tonnen können in Lingen künftig 650 Tonnen Uran im Jahr für die Stromerzeugung in Leichtwasserreaktoren vorbereitet werden. Dem ANF-Geschäftsführer Ralf Güldner ist die Erleichterung deutlich anzumerken: „Diese Genehmigung war wichtig für uns, denn auf dem schrumpfenden Markt herrscht ein harter Verdrängungswettbewerb.“

Die Rolle der Bundestagswahl

Güldner nennt drei Hauptprobleme: „Es werden in Europa keine neuen Kernkraftwerke mehr gebaut; die Brennelemente werden immer besser ausgenutzt; die Anbieter unterscheiden sich nur noch gering in der Qualität.“Auch das Ergebnis der kommenden Bundestagswahl könne zu Einbußen führen: Mit Spannung erwartet er den Koalitionspoker: Falls Rot-Grün gewinnt und aus der Kernenergie aussteigt, würde die inländische Nachfrage weiter schrumpfen, ist sich Güldner sicher.

300 Millionen Mark Umsatz

„Wir sind aber zuversichtlich, daß wir unsere 350 Arbeitsplätze in Lingen halten können“, betont Pressesprecher Güldner. Als hundertprozentige Tochter der Siemens AG ist die ANF in Deutschland Marktführer im BE-Bereich. Auch in Duisburg und im bayerischen Karlstein befinden sich Betriebsstätten mit weiteren 350 Mitarbeitern. Im vergangenen Jahr erzielte das Unternehmen einen Umsatz von knapp 300 Millionen Mark.

Einzige Fabrik für Brennelemente in Deutschland

Seitdem Siemens 1995 die Produktion plutoniumhaltiger Brennelemente in Hanau einstellte, gibt es keine andere BE-Fabrik mehr in Deutschland. In Lingen wird das mit dem spaltbaren Isotop 235 angereicherte Uranhexafluorid mit Hilfe von Wasserdampf in pulverartiges Urandioxid umgewandelt.

Rund 400 Pulver-Tabletten mit einem Gesamtgewicht von etwa zweieinhalb Kilogramm werden in ein langes Hüllrohr, den Brennstab, gepreßt. Ein Bündel von rund 230 Brennstäben ergibt am Ende ein etwa 1,5 Millionen Mark teures BE, das im Atomkraftwerk abgebrannt wird.

Der Oberstadtdirektor hält größeren Unfall für unwahrscheinlich

Radioaktive Abfälle entstehen bei ANF nicht. Gefährlich ist aber ein chemisches Nebenprodukt: Bei der Defluorisierung des Urans bildet sich Fluorwasserstoff, der in der Luft als Flußsäure stark ätzend ist. Der Oberstadtdirektor von Lingen, Karl-Heinz Vehring hat keine Angst vor einem atomaren Gau. Er hält einen größeren Unfall für „sehr unwahrscheinlich“: „Der Betrieb schafft hochqualifizierte Arbeitskräfte und ist sehr sicher. In fast 20 Jahren gab es keinen nennenswerten Störfall.“Auch das habe mit dazu beigetragen, daß es in Lingen, im Unterschied zu anderen Atomanlagen, immer ruhig blieb.

Bernward Loheide, dpa