In Tel Aviv versammelten sich am Samstag abend über 200.000 Menschen, um an den vor zwei Jahren ermordeten israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin zu erinnern. Aus der Gedenkfeier wurde eine Massenkundgebung gegen die Regierung Netanjahu. Aus Tel Aviv Georg Baltissen

„Singt das Lied des Friedens“

Den meisten Beifall erhielt der Führer der linken Meretz-Partei, Yossi Sarid. „Wir klagen all jene an, die hinter dem Oslo-Sarg gingen, und all jene, die Rabin als Gestapo-Agenten oder in terroristischer Uniform zeigten“, sagte der Parteichef und fuhr fort: „Wenn der Sarg den Zionismus symbolisieren sollte, für wen war dann die Schlinge gedacht, die die Opposition vor den Augen des heutigen Ministerpräsidenten baumeln ließ? Und ich frage euch: Sah er sie, oder sah er sie nicht?“ Die Menge antwortete: „Er sah sie.“

Obwohl die Feier am Samstag abend in Tel Aviv als Erinnerungsfeier an den 2. Jahrestag der Ermordung des früheren israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin gedacht war, geriet sie zu einer politischen Kundgebung gegen die rechtskonservative Regierung und gegen jüngst verbreitete Verschwörungstheorien über den Mord an Rabin. Mehr als 200.000 Menschen nahmen einem Bericht des israelischen Rundfunks zufolge an der Kundgebung teil. Damit war die Demonstration eine der größten in der Geschichte Israels. Der frühere Ministerpräsident Schimon Peres sagte, daß der Frieden stärker sei als jede Regierung und als „alle Fehler, die die Regierung gemacht hat“.

Lea Rabin, die Witwe des Ministerpräsidenten, rief: „Gebt nicht auf, singt das Lied des Friedens, es ist nicht nur ein Traum.“ Sie wehrte sich insbesondere gegen eine Verunglimpfung ihres ermordeten Mannes. Als einziger Angehöriger der Regierungskoalition sprach Nathan Sharansky, der Minister für Handel und Industrie. Sharansky forderte die Menge auf, zusammenzustehen. „Am nächsten Gedenktag werden wir alle vereint sein und beten. Wer Frieden im Himmel macht, soll auch Frieden auf Erden geben, für uns und ganz Israel“, sagte Sharansky. Als Regierungsmitglied wurde er allerdings von einer ganzen Reihe von Demonstranten ausgepfiffen. Plakate mit Aufschriften wie „Wir vermissen dich, mein Freund“ oder „Wir werden nicht vergessen, und wir werden nicht vergeben“, prägten die Kundgebung. Der Chef der Arbeitspartei, Ehud Barak, erklärte angesichts der Masse von Demonstranten: „Ich bin sehr dankbar, und ich verspreche dir, Jitzhak Rabin, daß wir das Feuer des Friedens niemals erlöschen lassen. Wir werden auf deinem Weg fortschreiten bis zum Sieg“, prophezeite Barak. „Bis wir wieder eine Nation sind und die Differenzen zwischen uns getilgt sind.“ Schimon Peres, der Nachfolger Rabins, sagte der Menge: „Zwei Jahre zuvor, als Jitzhak Rabin noch lebte, habt ihr uns den Glauben an den Friedensprozeß gegeben. Heute nacht eröffnet ihr wieder den Weg zum Frieden. Ein Führer von Rabins Kaliber kann nicht ermordet, nicht getötet werden. Niemand kann seine Erinnerung, sein Lied, seinen Weg töten.“ Peres fügte hinzu: „Wir können keinen anderen Weg gehen als den Jitzhak Rabins.“

„Wir sind hier, um unsere physische Präsenz zu demonstrieren“, sagte eine Demonstrantin. „Wir stehen mit unserem Leben für den Frieden ein“, erklärte sie. Viele DemonstrantInnen äußerten sich ähnlich, um den Friedensprozeß – oder das, was von ihm übriggeblieben ist – zu retten. Immerhin hat Palästinenserpräsident Arafat die Verhandlungen in Washington schlicht für gescheitert erklärt.

An der Erinnerungsfeier für Rabin nahmen auch zahlreiche Künstler teil. Auch das Lied „Auf Wiedersehen, mein Freund“ wurde gesungen. Ein Rabbiner erhielt Applaus, nachdem er erkärte, daß nach der Ermordung von Rabin vor allem Gespräche unter Juden notwendig seien, um den inneren Frieden wiederherzustellen. Die Polarisierung gehe sehr tief, sagte Rabbiner Yoel Bin-Nun. „Wir müssen Friedensgespräche untereinander führen“, sagte er.