Gerüchte über ein gezieltes Mordkomplott

■ Rabins Mörder Yigal Amir wurde von einem Agenten des Geheimdienstes angeleitet

Die Regierung ergeht sich in Andeutungen, und die Opposition gibt sich empört. Ursache ist ein Artikel in der Zeitung der National-Religiösen Partei, Hatzofeh, der kurz vor dem 2. Jahrestag der Ermordung Jitzhak Rabins erschien und der die Theorie von einer Verschwörung des Geheimdienstes gegen den früheren Ministerpräsidenten wiederbelebt.

Laut Hatzofeh war Rabin von dem Mordkomplott Yigal Amirs, seines späteren Mörders, vorab informiert. Er beauftragte angeblich den Geheimdienst, die scharfe Munition gegen Platzpatronen auszutauschen, aber das Attentat selbst nicht zu verhindern. Ein höherer Offizier im Geheimdienst soll dann Schimon Peres vorgeschlagen haben, die Platzpatronen wieder durch scharfe Munition zu ersetzen. Der Offizier mit dem Namen Avishai Raviv habe als Gegenleistung verlangt, Geheimdienstchef zu werden.

Diese Theorie rückt die Rolle von Raviv ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Raviv arbeitete nach Angaben des früheren Geheimdienstchefs, Carmi Gillon, als Undercoveragent im rechtsradikalen Spektrum. Er führte die Gruppe „Ayal“ an, zu der der Rabin-Mörder Yigal Amir gehörte. Ravivs Deckname lautete „Champagner“. Er war nachweislich einer der führenden Organisatoren von Demonstrationen gegen Rabin. Raviv verteilte Flugblätter, die Rabin in SS-Uniform darstellten und ihn als Mörder und Verräter brandmarkten.

Zahlreiche Regierungsmitglieder, darunter Wissenschaftsminister Eitan, Erziehungsminister Hammer und Finanzminister Neeman verlangten nach der Veröffentlichung eine erneute Untersuchung des Attentats und der möglichen Verwicklung des Geheimdienstes Schin Beth. Den Ministern wurde daraufhin Einsicht in die bislang unveröffentlichten Teile des Untersuchungsberichts über den Mord an Rabin gewährt. Einige gingen anschließend an die Presse, sie äußerten sich schockiert. Andere verlangten, Raviv müsse vor Gericht gestellt werden.

Raviv, der wegen seiner Attakken gegen Rabin mehrmals festgenommen und stets wieder freigelassen wurde, hat sich nach Angaben des israelischen Rundfunks inzwischen in die USA abgesetzt. Sollte dies der Fall sein, kann die Ausreise nicht ohne Zustimmung des Schin Beth erfolgt sein. Nach israelischen Presseberichten lebt der ehemalige Undercoveragent dagegen heute in Tel Aviv und steht nach wie vor auf der Gehaltsliste des Geheimdienstes.

Ex-Geheimdienstchef Gillon verwahrt sich gegen die Verdächtigungen. Zwar sei Raviv ein problematischer Agent gewesen und wegen seiner aktiven Teilnahme in der rechten Szene mehrfach verwarnt worden. Doch habe der Schin Beth keine andere Möglichkeit gehabt, Agenten überhaupt in das rechtsradikale Lager zu schleusen.

Unklar ist allerdings, in welchem Verhältnis Raviv als Anführer der Untergrundgruppe „Ayal“ zu Amir stand, und ob er wirklich nichts von dem geplanten Mordanschlag gewußt hat. Die Knesset wird in dieser Woche in einer aktuellen Stunden den „Fall Raviv“ diskutieren. Der Führer der Meretz- Partei, Yossi Sarid, seinerzeit Mitglied in der parlamentarischen Kontrollkommission des Geheimdienstes, machte darauf aufmerksam, daß Avishai Raviv bereits unter der Likud-Regierung von Shamir rekrutiert wurde und seit zehn Jahren für den Inlandsgeheimdienst arbeitete.

Nicht unbedeutend sind die politischen Implikationen der Verschwörungstheorie. Nach Ansicht des Geheimdienstes und der „politischen Linken“ soll sie die heutige Regierung und vor allem Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vom Vorwurf entlasten, durch seine Aufstachelung gegen Jitzhak Rabin erst das Klima für den späteren Mord geschaffen zu haben. Netanjahu selbst gibt sich staatsmännisch und gelassen. Er nennt die Gerüchte Unfug: „Es hat keine Verschwörung gegeben“.

Hätte Raviv den Mord an Rabin verhindern können, dem Geheimdienst Schin Beth wäre ohne Zweifel jedes Lob, selbst von palästinensischer Seite, zuteil geworden. Daß dies dem Geheimdienst nicht gelang, weckt auf Regierungsseite Zweifel an der Professionalität des Schin Beth. Die Enkelin von Rabin erklärte in der Jerusalem Post: „Auch ich habe immer noch einige Fragen über das Verhalten des Geheimdienstes.“

Netanjahus Kabinettssekretär, Danny Naveh, empfahl gestern eine Veröffentlichung der Teile des Untersuchungsberichtes, die Raviv beteffen. Nur so ließen sich die Spekulationen beenden. Vieles deutet gegenwärtig darauf hin, daß der Schin Beth mit Raviv den falschen Mann rekrutiert hat. Für ein tatsächliches Komplott des Geheimdienstes spricht wenig. An einem gibt es aber keinen Zweifel. Die Verschörungstheorie ist geeignet, die Nation weiter zu spalten.