Jiang und Jelzin fehlt ein Gegner

■ Die chinesisch-russischen Gipfel wiederholen und erschöpfen sich

Peking (taz) – Stalin kam nie hierher. Nikita Chrustschow brach seinen Chinabesuch vier Tage früher als vorgesehen ab. Und Michail Gorbatschow besuchte die demonstrierenden Studenten auf dem Pekinger Platz des Himmlichen Friedens. Insofern ist es schon außergewöhnlich, daß Rußlands Präsident Boris Jelzin gestern bereits zum dritten Mal in seiner Amtszeit die chinesische Ehrengarde in der Großen Halle des Volkes abschritt. „Wir sind schon alte Freunde“, begrüßte ihn Chinas Staats- und Parteichef Jiang Zemin zum fünften Gipfel in ebenso vielen Jahren.

Ungeachtet der Entente cordiale der Hauptdarsteller haben die Gipfel zwischen dem größten und dem bevölkerungsreichsten Land der Welt jedoch ein Problem: Niemand fürchtet sich mehr vor der Achse Moskau–Peking wie einst im Kalten Krieg. Außerdem produzieren die Treffen immer die gleichen Ergebnisse: Es werden Grenzabkommen unterzeichnet, so auch gestern, die jedoch immer wieder unvollständig bleiben. Jener berühmte Abschnitt am Amur, um die beide Länder 1969 beinahe einen Krieg begannen, war auch beim gestrigen Abkommen ausgeklammert. „Das Problem des östlichen Teils der russisch-chinesischen Grenze ist grundsätzlich gelöst“, meinte Jelzin. Doch anschließend sinnierte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Tang Guoqiang, über Grenzfragen, die „so schnell wie möglich zu lösen seien“. Das klang so, als sei grundsätzlich doch nichts gelöst. Die Krux der chinesisch-russischen Beziehungen liegt auf wirtschaftlichem Gebiet. Der bilaterale Handel erreichte 1993 acht Milliarden US-Dollar und geht seitdem zurück. Schon mit dem kleinen Süd-Korea hat China heute einen mehr als doppelt so großen Warenaustausch wie mit Rußland. „China und Rußland stehen vor den gleichen Aufgaben“, mahnte Jelzin. „Sie müssen Reformen durchsetzen und mit einer starken Volkswirtschaft ins 21. Jahrhundert kommen.“ Zwar scheinen beide Länder ähnliche Ziele zu haben, doch können sie sich gegenseitig nicht helfen.

Dabei waren die Beziehungen zwischen China und Rußland nie so gut wie heute. Noch Stalin wandte sich von Mao ab. Jahrzentelang wollte nichts zwischen den kommunistischen Führungsmächten gutgehen. Wenn Jiang und Jelzin heute von „konstruktiver und strategischer Partnerschaft“ schwärmen, sind das für beide Nationen durchaus neue Töne.

Bei genauerem Hinsehen bekommt diese Partnerschaft auch unschöne Seiten: Rußland will Atomkraftwerke nach China exportieren. Sicherer scheinen da die Pläne zum Bau einer 3.000 Kilometer langen Pipeline, um russisches Erdgas nach China zu liefern. Ob das ausreicht, den bilateralen Handel bis ins Jahr 2000 auf das erklärte Ziel von 20 Milliarden Dollar zu heben, bleibt fraglich. Doch wen interessiert das? Richtig interessant werden die Gespräche zwischen Moskau und Peking erst wieder, wenn eine von beiden Mächten stark genug ist, sich gegen den Westen zu wenden. Georg Blume

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