Clinton auf der Überholspur gescheitert

Der Kongreß verweigert dem Präsidenten die Ermächtigung, im Alleingang weitere Handelsvereinbarungen auszuhandeln – die größte innenpolitische Niederlage in Clintons zweiter Amtszeit  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Man hätte meinen können, es gehe um das Überleben der USA als Wirtschaftsmacht, dabei ging es nur um eine Verfahrensfrage. Die Debatte war so leidenschaftlich wie seit langem keine, und die geplante Abstimmung hätte vermutlich mit einer Niederlage für den Präsidenten geendet. In letzter Minute zog Bill Clinton in der Nacht auf Montag die Notbremse und beantragte abermals eine Verschiebung der Abstimmung, die schon am Freitag auf der Tagesordnung gestanden hatte. Damit hat der Präsident vorerst kein Mandat zum Aushandeln internationaler Handelsverträge – die bislang größte innenpolitische Niederlage seiner zweiten Amtsperiode.

„Fast Track“ heißt wörtlich übersetzt Überholspur. Gemeint ist damit die Ermächtigung des Präsidenten, Handelsverträge abzuschließen, die der Kongreß nur noch annehmen oder ablehnen, nicht aber nachbessern kann. Anders nämlich reden potentielle Verhandlungspartner nicht mit Vertretern der USA, denn der Kongreß ist ein berüchtigter Basar, bei dem die Abgeordneten mangels Fraktionsdisziplin ihr Abstimmungsverhalten von der Berücksichtigung von Sonderinteressen in ihrem Wahlkreis leiten lassen – ein Kuhhandel, bei dem Jastimmen gegen Sonderklauseln für Bauern oder Farmer getauscht werden. Gesetzesvorlagen sind danach nicht mehr wiederzuerkennen.

Anders als die US-amerikanischen Wähler machen internationale Vertragspartner der USA das nicht mit. Jeder US-Präsident seit Gerald Ford hatte solche „Fast Track“-Autorität, Clinton aber ließ die Ermächtigung auslaufen und schob deren Erneuerung vor sich her, weil das Thema besonders in seiner Partei seit der Verabschiedung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) eine heiße Kartoffel ist.

Handelsabkommen sind in den USA je nach Standpunkt zum Inbegriff allen Übels oder aller Segnungen der Globalisierung geworden. Die läßt Kapitalströme ungezügelt über den Erdball schweifen auf der Suche nach billiger und rechtloser Arbeitskraft und auf der Flucht vor Umweltschutzauflagen, argumentieren Gewerkschaftler und Umweltschützer in seltener Eintracht. Als Folge, so die Gegner, steigt die Arbeitslosigkeit und sinkt der Reallohn im eigenen Land, während der heimische Markt gleichzeitig mit Billigwaren überschwemmt wird, die unter unmenschlichen Bedingungen hergestellt werden.

Clinton kontert: „Die Länder Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay machen zusammengenommen für sich schon einen Markt von 200 Millionen Menschen aus mit einem Bruttoinlandsprodukt von einer Trillion Dollar“, erklärte er in seiner wöchentlichen Rundfunkansprache. Diesen Markt will Clinton der US- Wirtschaft dadurch erschließen, daß er eine Erweiterung des bisher auf Nordamerika beschränkten Nafta-Handelsabkommen auf ganz Lateinamerika aushandelt.

Die Debatte ist längst zu reiner Parteipolitik verkommen. Der demokratische Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, Richard Gephardt, möchte im Jahr 2000 gegen Al Gore als demokratischer Präsidentschaftskandidat antreten und hat im Freihandel ein Thema gefunden, das er wählerwirksam ausbeuten kann.

Besonders aber zählt, daß die Demokratische Partei pleite ist und seit den Enthüllungen über Parteispenden und Wahlkampffinanzierung auch keine Geldgeber mehr findet. Sie kann die Gewerkschaften nicht verprellen, deren finanzielle und personelle Unterstützung die meisten demokratischen Abgeordneten sich nur durch Gegnerschaft zum Freihandel sichern können. So mußte Clinton auf eine Minderheit von Demokraten und eine Mehrheit der Republikaner setzen.

Die Stimmen einzelner demokratischer Abgeordneter kaufte er durch Vergabe von Bundesaufträgen für deren Wahlkreise und durch Zugeständnisse bei der Formulierung des Mandats. Gleichwohl sah es kurz vor der Abstimmung so aus, als würde der Präsident nicht einmal 40 Abgeordnete der eigenen Partei zusammenbekommen. Die Republikaner aber verlangten Zugeständnisse bei der Verabschiedung der noch ausstehenden Haushaltsposten. Im Gespräch waren Mittelkürzungen für Familienplanung bei der Entwicklungshilfe und ein Einlenken beim Streit um die Volkszählung. Die Demokraten wollen im Jahr 2000 nämlich die Kopfzählung durch Stichproben und repräsentative Erhebungen ergänzen, weil beim bloßen Auszählen regelmäßig Minderheiten und Neueinwanderer nur unzureichend erfaßt werden. Da diese aber in der Regel Demokraten wählen, wollen die Republikaner davon nichts wissen.

Bedeutend ist die Frage, weil Wahlkreise nach den Ergebnissen der Volkszählung neu bestimmt werden. Mit einem Entgegenkommen hätte Clinton auf Jahrzehnte republikanische Mehrheiten garantiert. Dieses Überholmanöver war ihm denn doch zu riskant, Clinton brach es ab.