Lästige Pflichtübung

■ Das Jahr gegen Rassismus ist abgefeiert

Das europäische Jahr gegen Rassismus geht zu Ende. Endlich. Niemand wird es vermissen. Nicht die Interessenvertretungen der Einwanderer. Sie haben das Jahr von Beginn als Feigenblattveranstaltung kritisiert. Nicht das Bundesinnenministerium, das zwar mit der nationalen Abwicklung der Veranstaltungen beauftragt war, darüber hinaus aber keinen Rassismus in Deutschland entdecken kann. Die aufgeklärten, liberalen Bürger, ansonsten immer für symbolträchtigen Unsinn zu begeistern, haben ihr Pulver gegen Fremdenfeindlichkeit ohnehin in den Jahren nach 1991 aufgebraucht. Ihnen sitzt das Hemd inzwischen näher als die Hose. Darüber kann auch ihr Beifall für die fulminante Rede von Günter Grass in der Paulskirche nicht hinwegtäuschen.

1997 haben sich die Schwerpunkte der interkulturellen Debatte verschoben. Nicht Diskriminierung von Minderheiten und ihre politische Gleichstellung beschäftigen heute die ehemaligen Propagandisten einer multikulturellen Gesellschaft, sondern die Bedrohung der Qualität städtischen Lebens durch ebendiese. Dreißig Jahre nachdem man 1968 damit begonnen hatte, die Bundesrepublik in eine offene Republik zu verwandeln, macht sich die Erkenntnis breit: Wir haben etwas zu verteidigen – westliche Urbanität gegen antidemokratische, antiuniversalistische und antipluralistische Einwanderer.

Es sind nicht mehr nur die Deutschnationalen, die ihre Vorbehalte gegen Einwanderer artikulieren. Auch in den sogenannten fortschrittlichen Kreisen wächst die Sehnsucht nach Übersichtlichkeit, der Wunsch, das mit unzähligen Bürger- und Stadtteilinitiativen Geschaffene in aller Ruhe zu genießen. Aber die wird durch die Vielfältigkeit immer neuer Problemlagen in den Einwandererquartieren gestört. Es ist leicht, die Anti-Multikulti-Berichterstattung des Spiegels ein um das andere Mal zu kritisieren. Unangenehmer ist das Eingeständnis, daß hier nur etwas zugespitzt dargestellt wird, was längst in den Alltagsdiskurs der Gebildeten eingesickert ist. All das kann beklagt werden. Was bleibt, ist ein in dieser Form bislang unbekannter Interessenkonflikt. Erst wenn sich die Beteiligten diesen eingestehen, sehen, daß ihre naive Multikulti-Parteinahme längst zur Lebenslüge geworden ist, ist der Weg wieder frei, pragmatisch an die politische Ausgestaltung des Einwanderungslandes heranzugehen. Eberhard Seidel-Pielen