Kampf dem Silbensalat

■ Das private „Institut für Legastheniker-Therapie“wird zehn Jahre alt

„Legasthenie wurde „abgeschafft“, – vor circa 15 Jahren. Ein wenig zynisch wird Marita Langel-Koltzsch und Karin Zinnkann-Hosenfeld, den beiden Leiterinnen des „Instituts für Legastheniker-Therapie“, zumute, wenn sie die Lage der Legastheniker-Förderung überdenken. In den 70er Jahren waren Legasthenikertests im zweiten Schuljahr bundesweit Pflicht. Mit gutem Grund. Denn je früher die Hilfe einsetzt, desto erfolgversprechender ist sie. Forsch wurde das Problem angepackt.

Heute übernehmen die Krankenkassen die Unterrichtskosten von gerade mal 30 Kindern des Bremer Instituts. Bei den restlichen 120 müssen die Eltern selbst in die Tasche greifen. Es muß ein tiefer Griff sein: etwa drei Jahre dauert eine solide Therapie. Im Monat kostet sie 350 Mark, macht 12.600 Mark, ein halbes Auto. Dieses halbe Auto rappeln, so die beiden Leiterinnen, beileibe nicht nur begüterte Elternhäuser zusammen. „Da tagt schon mal der Familienrat und greift auf Omas Erspartes zurück.“

Was nicht „abgeschafft“wurde, sind die Legastheniker. 3-5 Prozent der Bevölkerung sind es, darunter nur 20 Prozent Frauen, wohl wegen des berühmten Balkens zwischen rechter und linker Hirnhälfte im Kopf einer Frau.

Vielleicht noch schlimmer als die Finanzierungssituation: Die Sensibilisierung für das Thema schwindet dahin. LehrerInnen mahnen wieder: Streng dich mehr an! Gib dir Mühe! Die natürliche Dummheit des Menschen, die nichts lieber tut als zu moralisieren, ist wieder auf dem Vormarsch.

Bei hochoffizieller Legastheniediagnose wird zwar bis zur fünften Klasse auf Rechtschreibnoten verzichtet, dennoch zerhacken blutrote Korrekturzeichen die Diktate – und Seelen der Kinder. Die daraus resultierenden Kratzspuren nennt man kurz und trocken „Sekundärsymptome“.

Und die haben es in sich. Die betroffenen Kinder fühlen sich schlecht, dumm, böse; – ihre Lage erscheint ihnen absolut aussichtslos. Schule ist ein Ort permanenter Niederlage und Demütigung. Dabei ist das Gros der Forschung längst davon überzeugt, daß ausschließlich genetisch-biologische Gründe für den Buchstabensalat verantwortlich sind.

Die deutsche Sprache ist komplexer als man meinen könnte. Warum eigentlich schreibt man „fahren“mit h und „legen“ohne, „Bühne mit und „Tribüne“ohne. Ein Haufen ekliger Wenn-Dann-Regeln ist für diese unlogisch wirkende Logik verantwortlich. Dem durchschnittlichen Schreibenden ist der Regelberg ziemlich egal. Er entwickelt eine bildliche Vorstellung vom Wort. Die prägt er sich ein und reproduziert sie. Korrekte Rechtschrei-bung resultiert also nicht aus logischer Herleitung, sie ist eine Gedächtnis-Leistung. Dieses sogenannte Wortbild-Gedächtnis, außerdem die Laut-Zeichen-Zuordnung, ist bei Legastheni-kern defizitär. Eine Lücke, die aber durch genaue Kenntnis des Regelwerks elegant überbrückt werden kann.

Wenn die Erinnerung ans Wortbild versagt, hilft das Gesetz. Demnach wird eine Legasthenie-Therapie zwar nie das Problem abschaffen. Sie kann aber einem Legastheniker beibringen, mit seiner Schwäche zu leben. Bei einfacheren Formen erzielen die acht Mitarbeiter des Instituts nicht selten völlig „normale“Rechtschreibleistungen.

Bei schwierigeren Fällen kann zum Beispiel die Fehlerquote von 80 auf 20 in einem Diktat reduziert werden. Das kann zum Beispiel bedeuten, von einem Behördenheini beim Ausfüllen eines Formulars nicht mehr als asozial betrachtet zu werden.

Vor allem die Umgebung – Elternhaus und Schule – muß aber eingestimmt werden auf das Problem. Mit Verständnis statt Rüge! Das Ergebnis: „Schon einige Eltern meinten, ihr Kind sei wie ausgewechselt.“ bk