■ Ein Samstagabend im ICE 638 von Duisburg nach Bonn
: Nächster Halt: Koblenz

Hallo, Herr Kling, ja Sie, von der Deutschen Bahn. Erinnern Sie sich? Am Samstag abend zwischen 23.15 Uhr und Mitternacht hatten wir das Vergnügen. Hallo auch, Kollege Zugführer, dessen Namen ich nicht weiß. Sie wollten ihn nicht nennen, und Schaffner Kling wollte ihn aus „datenschutzrechtlichen Gründen“ nicht verraten.

Eigentlich sollte es nur eine einstündige Begegnung mit der Deutschen Bahn werden, nicht gleich ein ganzer Abend. Sie sollte um 20.47 Uhr beginnen und um 21.41 Uhr enden. In dieser Zeitspanne, so ein freundlicher Herr von der Bahnauskunft in Duisburg, dessen Namen ich vergessen habe, würde ein ICE von Duisburg nach Bonn fahren. Die Auskunft hatte einen kleinen Fehler. Der ICE 638 verkehrt samstags nicht. Nun gut, der nächste Zug Richtung Bonn fuhr schon 20 Minuten später, beim Umsteigen in Köln mußte man nur 13 Minuten auf den Anschlußzug warten, also halten wir uns nicht mit Kleinigkeiten auf.

Vieles ging gut. Der ICE nach Frankfurt über Bonn kam relativ pünktlich in Köln an, fuhr relativ zügig, also nur mit einer zehnminütigen Verspätung los und erreichte Bonn. Keine weiteren Vorkommnisse bis dahin. Dann ging es ans Aussteigen.

Fünf Fahrgäste standen bereit. Ein Herr drückte auf den grünen Türöffner. Einmal, zweimal. „Nun machen Sie doch schon“, drängelte jemand. Die Tür ging nicht auf. Auch die nächstgelegene Tür des Nachbarwaggons blieb geschlossen. Hektisch liefen die Passagiere zum nächsten Waggon. Auch hier ließen sich die Türen nicht öffnen. Also noch einen Waggon weiter.

Vor mir eilte eine, mir bis dahin unbekannte Frau, durch den Gang, so gut sie konnte. Sie ist zu 50 Prozent schwerbehindert, 42 Jahre alt, Lehrerin. Woher ich das jetzt weiß? Genau!

Vor unseren Augen schloß sich eine Tür, durch die gerade eben noch drei Fahrgäste geschlüpft waren. Sie ließ sich nicht öffnen, obwohl der Zug noch stand. Nach einer halben Minute setzte er sich in Bewegung. Es war 22.20 Uhr. Nächster Halt: Koblenz.

Nun lernten wir Herrn Kling kennen, einen fülligen, älteren Bahnbeamten mit Bart, der zwei Waggons weiter in seinem Dienstraum saß. Er war beschäftigt. Er fertigte Hinweiszettel, daß Türen des ICE blockiert seien. Ein Besoffener, erklärte er uns, habe in den Einstieg gekotzt. Deshalb die Verriegelung.

Wir baten ihn, den Zug in Bad Godesberg anhalten zu lassen. Er griff zum Telefon. Mehrmals. Niemand meldete sich. Dann flog Bad Godesberg vorbei. „Ich habe den Zugführer nicht erreicht“, sagte Herr Kling. Dafür erreichte er den Zugchef, der mitteilen ließ: „Um 23.12 Uhr bekommen Sie Anschluß nach Bonn. Gleis 3.“

Wir verlangten ein Taxi, aber Herr Kling lehnte ab. „Es geht doch noch ein Zug.“ Wir verlangten, den Zugchef zu sprechen. Herr Kling drückte mir einen Hörer in die Hand. Auch der Zugchef lehnte ab. „20 Minuten warten ist zumutbar.“ Wir erklärten, daß es schließlich nicht nur um 20 Minuten gehe. Der Zugchef antwortete, er müsse mit der Bahndirektion reden.

Noch zehn Minuten bis Koblenz. Der Zugchef meldete sich nicht. „Der wird das doch wohl nicht aussitzen“, sagte meine neue Bekannte und fragte mich: „Haben Sie den Namen des Schaffners?“ Ich verneinte. Sie schüttelte den Kopf. „Mir hat er gesagt, er habe Ihnen eine Karte mit seinem Namen gegeben.“ Wir verlangten den Zugchef zu sprechen.

Herr Kling griff zum Hörer: „Zugchef bitte melden, Zugchef bitte melden.“ Eine Minute später meldete er sich. Über Bordtelefon. „In wenigen Minuten erreichen wir Koblenz. Reisende nach Bonn nehmen den Intercity Richtung Köln. Abfahrt 23.12 Uhr, Ankunft 23.43 Uhr.“ Markus Franz