Loch an Loch und hält doch

■ 1997/98 fehlen dem Staat 40 Milliarden

Bonn/Berlin (Reuters/AP/taz) – Bund, Länder und Gemeinden erhalten dieses und nächstes Jahr wieder weniger Steuern. Nach Durchsicht seiner Akten und Statistiken prophezeite der Arbeitskreis Steuerschätzung gestern für dieses Jahr 17,9 Milliarden Mark weniger Steuereinnahmen als noch im Mai gedacht. In ihrer Herbstprognose sehen die Finanzexperten für 1998 gar ein Defizit von 22,4 Milliarden Mark. Finanzminister Theo Waigel muß im Bundeshaushalt 1997 mit 6,7 Milliarden Mark weniger und im kommenden Jahr mit 9,5 Milliarden Mark weniger Einnahmen auskommen.

Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP haben gestern einem Maßnahmenpaket zugestimmt, mit dem die neuen Löcher im Bundeshaushalt 1997 und 1998 gestopft werden sollen. Waigel sagte am Abend vor Journalisten, unter anderem solle der Verkauf von Aktien der Deutschen Telekom AG weitgehend auf das Jahr 1998 verschoben werden. Zugleich ist vorgesehen, Überweisungen an den Erblastentilgungsfonds von sechs Milliarden Mark zu verschieben. „Damit verschiebt er die Schulden auf die nachfolgende Generation“, sagte Ingrid Matthäus-Maier, SPD-Finanzexpertin, zur taz.

Weitere Einnahmen in Höhe von insgesamt fünf Milliarden Mark verspricht sich Waigel von der neuen Haushaltssperre, sinkenden Kriegsfolgelasten und geringeren Zinszahlungen. Die Ausgaben für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sollen nach Berechnungen des Ministers um vier Milliarden Mark geringer ausfallen als erwartet.

Waigel selbst führte die sinkenden Steuereinnahmen gestern auf die starke Nutzung der Möglichkeiten zur Steuerersparnis zurück. Die „politisch gewollten Abschreibungsmöglichkeiten“ (Matthäus-Maier) für Gutverdienende haben das Einkommensteueraufkommen in den vergangenen zehn Jahren um 90 Prozent schrumpfen lassen. Außerdem macht Waigel die hohe Arbeitslosigkeit und die steigende Exportquote verantwortlich für seine Löcher.

Fehlende Steuern hin, Haushaltslöcher her: Waigel blieb gestern dabei, daß Deutschland trotzdem die Kriterien des Maastricht-Vertrages zur Einführung des Euro erreichen werde. Dies würde jedoch voraussetzen, daß er sich nicht neu verschuldet. Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rudolf Scharping, sagte, die SPD sei bereit, sofort mit der Koalition Gespräche über notwendige Sofortmaßnahmen zu führen. ufo

Bericht und Interview Seite 2