Grüne Party auf der Titanic

■ Grünen und Sozialdemokraten fehlen Mut, Wille und Kraft zu einer wirklichen ökologischen Modernisierung in Hamburg, findet Florian Marten

Der Wald ist grün wie nie. Der Sommersmog bringt allenfalls ein paar Grufties zum Röcheln. Die Sonnenschutzcremes schaffen Faktor 60. Wir haben uns mit den Folgen der Umweltzerstörung längst wohlig abgefunden: Stell Dir vor, es ist ökologische Apokalypse – und keiner geht hin. Mit entspanntem Lächeln setzt Hamburgs rot-grüne Landesregierung „grüne Tupfer“, veranstaltet Workshops zur Agenda 21, malt Fahrradstreifen auf den Asphalt und baut fleißig an ihren Autobahnen, Flughäfen und an der Mehrzahl ihrer Zersiedlungsprojekte weiter.'

„Die Grünen haben die Realitäten der Stadt anerkannt“: SPD-Hardliner Günter Elste, das Hamburger Abendblatt und die Handelskammer sind des Lobes voll. Auch die GAL-Führung pflichtet, mit einem leicht anderen Zungenschlag, bei: „Eine 14-Prozent-Partei kann nicht 100 Prozent grünes Programm umsetzen wollen“, erläutert GAL-Verhandlungsführerin Krista Sager. Realismus? Pragmatismus? Weltuntergangsszenarien, einst belächelt und verteufelt, sind heute Allgemeingut von Wissenschaft und Politikberatung. Entschieden wird über dieses Schicksal auch in Hamburg. Wie gut, daß wir die Stadt jetzt in Händen derer wissen, die ihren Amtseid auf den Katechismus ökologischer Modernisierung und globaler Verantwortung zu schwören versprechen.

Und tatsächlich: Nimmt man den bundesdeutschen Standard rot-grüner Koalitionsverhandlungen zum Maßstab, dann darf der Politfeinschmecker angesichts des Hamburger Ergebnisses durchaus mit der Zunge schnalzen. Beachtlich viele kleine grüne Tupfer zieren die Koalitionsvereinbarungen, und selbst innerhalb der SPD-Programmatik haben sich einige Modernisierungsansätze in die strukturkonservative Vorlage des Voscherau-Wahlprogramms hineingemogelt. Zwar hat die SPD, wie in rot-grünen Koalitionen üblich, die GAL mit einem ihrem Wahlergebnis in keiner Weise entsprechenden Minimum an Zugeständnissen und Jobs ausgestattet – doch an die Rolle des Juniorpartners haben sich Grüne und Öffentlichkeit längst schon gewöhnt. Die Hamburgische Landespolitik wird, so versprechen uns die politischen Akteure, ein „Weiter so!“, aufgepeppt mit grünen Akzenten und einigen kleinen Modernisierungsperspektiven.

Warum darüber meckern? Mehr ist eben in Zeiten der gnadenlosen Globalisierung, der bösen Bonner Kohl-Regierung, der übermächtigen Springerpresse und der überaus bescheidenen Möglichkeiten eines finanziell ausgebluteten Stadtstaates nicht drin.

Wirklich? Für mich nimmt das Auseinanderklaffen von globaler Herausforderung und lokaler Politik immer groteskere Züge an. Jetzt, wo niemand mehr daran zweifelt, daß wir grundlegende politische, ökologische und soziale Reformen brauchen, lautet die rot-grüne Antwort: Weiter So! Mehr ist leider nicht drin.

Kann Hamburg kein Armutsbekämpfungsprogramm starten und in den nächsten Jahren 10.000 neue Arbeitsplätze schaffen? Kann Hamburg nicht die Verkehrswende, die Müllwende und die Energiewende in die Wege leiten und dabei gleichzeitig die Stadtkasse nachhaltig entlasten? Kann Hamburg nicht seine Verwaltung aus einem obrigkeitlich-filzigen Anti-Bürger-Moloch in ein politisches Instrument zur grundlegenden ökologischen Modernisierung der Stadt verwandeln? Die Rede ist nicht von selbstgerechtem Öko-Fundamentalismus, sondern von einer politischen Offensive, welche die Gestaltungsspielräume des Stadtstaates nutzt.

Wie soll denn die globale Trendwende gelingen? Durch eine gemeinsame Resolution der USA, Chinas und Indiens? Durch die Installation einer Weltregierung? Durch eine sozial-ökologische Weltrevolution? Die Trendwende wird, so glaube ich, weder auf einen Schlag noch durch ein weltweites großes Palaver kommen. Sie wird sich, wenn überhaupt, nur dann einstellen, wenn die entwickelsten Regionen der Welt positive Vorbilder werden.

Und dafür bietet Hamburg geradezu ideale Voraussetzungen. Flächenrecycling statt Betonierung grüner Wiesen, die ökonomische Revitalisierung von Stadtteilen durch eine Vernetzung von Wirtschafts-, Sozial-, Stadtentwicklungs-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik, eine Müll- und Energiepolitik, welche innerhalb der nächsten Jahre längst vorhandene Konzepte zur Umsteuerung ausnutzt und eine intelligente Verkehrspolitik, welche Mobilität statt Autos fördert ... Hier geht es nicht um Utopien, sondern um eine Wiederkehr von Politik, um eine Aufbruchstimmung, wie sie derzeit ansatzweise in Frankreich und Großbritannien zu beobachten ist.

Der angebliche Realismus und Pragmatismus, hinter dem sich der rot-grüne Senat versteckt, ist nichts anderes als die typische Vogel-Strauß-Attitüde. Und dabei ist dieser Verzicht auf gestaltende Politik nicht einmal machtstrategisch von Vorteil: Mit welchen Erfolgen will Rot-Grün denn 2001 vor die Hamburger WählerInnen treten? Statt sich der globalen Realität zu stellen, glaubt die Politik am Wahnsinn des Weiterwurstelns festhalten zu können. Leider nicht einmal Panik auf dieser Titanic.