Der Herbst des Feminismus

■ Die Compagnie Michèle Anne de Mey tanzte im vollbesetzten Schauspielhaus zu Franz Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“/ Trotz tänzerischer Virtuosität enttäuscht das Stück mit thematischer Biederkeit

„Music!“– „No!“– „Again!“Reis fliegt durch die Luft. Zwei, drei Takte. Ist das nicht Schub...? „Music!“– „No!“– „Again!“Mit panischem Blick und wankendem Schritt flieht Johanne Saunier vor den Tönen. Wieder Stille. Und erneut der Befehl: „Again!“. Kein Entrinnen. Denn diesmal bleibt Franz Schuberts „Der Tod und das Mädchen“. Bis zum Ende müssen die vier Tänzerinnen der belgischen Compagnie Michèle Anne de Mey mit diesem romantischen Streichquartett und dem gleichnamigen Lied auskommen.

Doch vor Ehrfurcht vor dem berühmten Werk erstarren Saunier und ihren Mittänzerinnen Joanna O'Keeffe, Manuela Rastaldi und Francesca Zoia wahrlich nicht. Ihr Stück „Katamênia“unter der Choreographie der Belgierin Michéle Anne de Mey begegnet der wehmütigen Variation des österreichischen Romantikers über den Besuch des Sensenmanns mit zuweilen erfrischender Respektlosigkeit. Stöckelschuhe fliegen über die Bühne, Tische rutschen umher, wogende Hüften und schrilles Kreischen, wohin man blickt. Aber auch wenn zuvor wohl kaum jemand Schubert so interpretiert hat, birgt „Katamênia“viel Traditionelles und findet selten stimmige Bilder jenseits des vordergründig Neuen.

Die Welt der Frau ist, glaubt man Michèle Anne de Mey, nach wie vor klein. Zwischen Küchenboden und Wäscheleine, zwischen den überall auf der Bühne verstreuten Waschzubern und Tischdecken bleibt wenig Spielraum für den Ausbruch aus gut abgehangenen Rollenklischees. Die Frau als Vamp, als Bodenkosmetikerin, Hausfrau, hysterische Furie und Angsthase, die selbst vor weißen Spielzeugmäusen ängstlich kreischend das Weite sucht – de Meys Inszenierung zeigt sich in der Auswahl ihrer Motive und Frauenbilder erstaunlich hausbacken.

Der Feminismus der 90er, er setzt wieder da an, wo er sich schon vor Jahrzehnten wähnte. Die Unterschiede liegen im Detail. Wofür einst verbissen gekämpft wurde, wird nunmehr allenfalls augenzwinkernd verfolgt, was damals Anlaß für wütende Proteste war, wird jetzt ironisch gebrochen kritisiert. Frauensolidarität: Das ist heute für de Mey nicht mehr als der beiläufige, freundschaftliche Klaps von O'Keeffe auf Sauniers Rücken, damit sie endlich aufhört, wie eine Blöde zu plärren. Am Rande des Nervenzusammenbruchs stehen sie wieder zusammen, in hochhackigen Schuhen, kurzatmig, mit ent-blößter Schulter und mehlweißem Gesicht. Geboren aus einem Tischtuchkokon, der von der Wäscheleine baumelt, purzelt sie schließlich zu Boden: Die neue Frau, die sich mit ihren Mitstreiterinnen einen Ort jenseits der schönen alten Küchenwelt ertanzt und bei so viel beißender Selbstironie so ziemlich alles aus den Augen verliert. Was war noch das Thema: Schubert, die Frau, der Tanz? Oder nichts davon?

Gegen Ende des Stücks hat Schubert wieder das Wort. Die Streicher fiedeln machtvoll, greifen nochmals mit gewaltigem romantischem Gestus nach den Tänzerinnen. Aber diesmal sind ihre Bewegungen leicht, der Schritt fest und raumgreifend ihre Gesten. Die Küchentische sind endgültig in die Ecke verbannt, die Tischtücher zerknüllt, und kämpferisch statt verängstigt klingt nun das Schreien der vier. Morning has broken, die Welt ist endlich unsere. Wenn es denn mal so einfach wäre mit der Emanzipation. zott

Die nächste Aufführung des Bremer Tanzherbstes: Les Ballets C. de la B. (heute abend, 20 Uhr, Schauspielhaus)