Keine Hilfe für psychisch Kranke

■ Vereine fordern von Gesundheitssenatorin 8 Millionen Mark. Ambulante Versorgung für aus der Psychiatrie entlassene Menschen reicht nicht, weil Bezirke zuwenig Geld in ihrem Haushalt haben

Für eine bessere ambulante Versorgung von psychisch Kranken haben gestern rund 300 Menschen vor dem Roten Rathaus demonstriert. Sie forderten den Senat auf, acht Millionen Mark jährlich für offene Hilfen – also Kontakt- und Beratungsstellen, Krisendienste und Arbeitsprojekte für Menschen, die aus der Psychiatrie entlassen worden sind – bereitzustellen.

Matthias Rosemann vom Arbeitskreis der psychiatrischen Hilfsvereine beschuldigte die Gesundheitsverwaltung, daß diese „das Versprechen, die Enthospitalisierung von Kranken in allen Lebensbereiche umzusetzen“, nicht eingehalten habe.

Im Rahmen des Psychiatrieentwicklungsprogramms (PEP) sind seit 1993 von der Gesundheitsverwaltung fast 1.800 Betten in psychiatrischen Krankenhäusern abgebaut worden. Ende Juni gab es noch knapp 3.900 Betten. Die abgebauten Betten sollen durch Tagesstätten und betreute Wohnungen, aber eben auch Krisendienste und besondere Arbeitsmöglichkeiten ersetzt werden.

Das Angebot an Wohngemeinschaften und auch die Betreuung sei mittlerweile ausreichend, bilanzierte Rosemann gestern, jedoch nicht die offenen Hilfen. Die Angebote, etwa niedrigschwellige Arbeitsmöglichkeiten wie Cafés oder Recyclingprojekte, würden von den Bezirken und nicht von der Gesundheitsverwaltung finanziert. „Die Bezirke haben für die offenen Hilfen viel zuwenig Geld zugestanden bekommen“, so Rosemann. Als das PEP beschlossen wurde, hatte der Rat der Bürgermeister darauf hingewiesen, daß die Kosten für die Beratungs- und Hilfsangebote vom Land getragen oder die Globalhaushalte aufgestockt werden müßten.

Auch die Gesundheitsverwaltung sieht das Defizit für offene Hilfen, kann aber nach Angaben des Landesbeauftragten für Psychiatrie, Heinrich Beuscher, „keinen einzigen Pfenning“ an die Bezirke zahlen. Beuscher hat ausgerechnet, daß rund 5,7 Millionen Mark für Beratungsstellen, Krisentelefone und Arbeitsangebote fehlen. „Wenn diese nicht irgendwo herkommen, wird es große Probleme geben“, prognostizierte er.

Der Arbeitskreis für psychiatrische Hilfsvereine hofft dennoch auf die Hilfe der Gesundheitsverwaltung und die Unterstützung der Parteien in den Haushaltsberatungen. So schlagen die Grünen vor, Geld aus den Rücklagen der städtischen Krankenhäuser für die Finanzierung zu nehmen. Diese verfügen über ein Rücklagensumme von 217 Millionen Mark. Von deren Zinsen – rund 12 Millionen Mark jährlich – könnten sechs Millionen für die offenen Hilfen verwendet werden. Julia Naumann