Der ganz schmutzige Krieg

Ein deutscher Manager wurde gekidnappt. Ein gutes Geschäft: Kolumbien gilt als das Land mit den meisten Entführungen weltweit  ■ Von Peter Schumacher

Seit drei Tagen ist er in der Gewalt von Entführern: Der 62jährige deutsche Manager Hans-Werner Jocker wurde am Montag in der kolumbianischen Stadt Villeta, etwa 150 Kilometer westlich der Hauptstadt Bogotá, von sechs Männern in einen Geländewagen gezogen. Die Polizei vermutet Guerilleros der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) hinter der Entführung. Konkrete Forderungen oder ein Bekennerbrief sind bislang nicht eingegangen.

Jocker ist Opfer eines Geschäfts, das in Kolumbiens Zeitungen längst unter dem Begriff „Entführungsindustrie“ behandelt wird. Der staatliche Anti-Entführungs-Beauftragte Rubén Dario Ramirez schätzt, daß 1996 rund 400 Millionen Dollar an Lösegeldern gezahlt worden sind. Sein Büro versucht, eine Bilanz über die Entführungen in Kolumbien zu erstellen: Allein in diesem Jahr sind danach schon 1.083 Menschen gekidnappt worden. Im ganzen vergangenen Jahr waren es 981. Und das sind nur die gemeldeten Fälle. Menschenrechtsorganisationen schätzen die Dunkelziffer auf mehr als doppelt so hoch.

Treffen kann es jeden: Großgrundbesitzer auf dem Land ebenso wie Händler in der Stadt. Die Stiftung Freies Land, eine Organisation, die die Verbrechen der „Entführungsindustrie“ anprangert, beklagt, daß immer häufiger auch Kinder Opfer werden – allein in diesem Jahr 123. „Es wird Zeit, daß das kolumbianische Volk mit dem Mythos bricht, daß Entführungen nur die Reichen betreffen. In Kolumbien ist es legitim, ein Kind für 20 oder 30 Dollar zu entführen oder eine Person einige Stunden für 500 Dollar festzuhalten“, sagt der Psychologe Augusto Pérez Gómez von der Stiftung Freies Land. Die Organisation berichtet über einen Fall in Cali, bei dem die Kidnapper sich ein kleines Kind vor einem Supermarkt schnappten, um von der Mutter die vollen Einkaufstüten zu erpressen.

Viele der Täter halten Entführung für ein Kavaliersdelikt, klagt ein Sprecher der Anti-Entführungs-Polizei Gaula: „Es ist völlig normal geworden, daß die Personen, die wir wegen der Beteiligung an einer Entführung festnehmen, sich damit verteidigen, daß sie bloß das Auto gefahren haben oder lediglich einige Pesos dafür bekommen hätten, das Opfer zu transportieren, aber in keinem Moment fühlen sie sich als Entführer.“

Nicht nur normale Kriminelle zählen zu den Tätern, und nicht in jedem Fall geht es um Lösegeld. Auch um politischen Druck zu machen, sind Entführungen in Kolumbien an der Tagesordnung. Der kolumbianische Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez schildert in seinem im vergangenen Jahr erschienenen Buch „Nachricht von einer Entführung“, wie die Medelliner Drogenbosse um Pablo Escobar Ende der achtziger Jahre mit der Entführung von Journalisten versuchten, ihre Auslieferung an die USA zu verhindern – mit Erfolg. Heute sind es vor allem Guerillagruppen und Paramilitärs, die Entführungen als Druckmittel einsetzen. Aber die linken Rebellen entführen auch, um Geld zu erpressen. Das Entführungsgeschäft ist neben der Schutzgelderpressung eine ihrer wichtigsten Finanzquellen. Als besonders lukrativ gilt die Entführung von ausländischen Managern und Ingenieuren – im vergangenen Jahr wurden 42 Ausländer verschleppt. Die Erpresser fordern Lösegelder zwischen zwei und fünf Millionen Dollar von den multinationalen Konzernen – und bekommen sie auch in vielen Fällen.

Im Schatten des Millionengeschäfts mit den Entführungen blüht ein Wirtschaftszweig, den Fachleuten diskret mit „k & r“ abgekürzen. Das Kürzel steht für kidnapping and ransom, Entführung und Lösegeld, und bezeichnet den professionellen Umgang mit dem Problem. Wer es sich leisten kann, versichert sich gegen das Risiko. Anti-Entführungs-Policen decken die Lösegeldsumme bis zu einer vertraglich vereinbarten Höhe ab – vorausgesetzt, über die Versicherung wird Stillschweigen bewahrt. Sollte bekannt werden, daß ein Manager versichert ist, steigt für ihn das Risiko, entführt zu werden. Die Prämien liegen bei 70.000 Dollar für eine fünfköpfige Familie. Damit sind dann das Lösegeld bis zu fünf Millionen Dollar und die Beratung durch eine Sicherheitsfirma abgedeckt.

Marktführer auf diesem Gebiet sind die britische Control Risks Group und die US-amerikanische Kroll Associates. Control Risks rühmt sich, allein in Kolumbien bereits 98 Geiseln freibekommen zu haben.

Ein sauberes Geschäft, wie CR in einer Informationsbroschüre verbreitet: „Unsere Rolle bei Erpressungsfällen beschränkt sich auf eine strikte Beratungsfunktion. Wir greifen nicht ein: Unsere Berater nehmen nicht an Verhandlungen teil, sie zahlen keine Lösegelder, und sie haben keinerlei Kontakt zu den Entführern. Unsere Abrechnung erfolgt nach Tagessätzen. Wir akzeptieren keine Art von prozentualer oder anderer Beteiligung und werden das auch in Zukunft nicht tun.“

Der Grund für die vorsichtigen Formulierungen ist einfach: In Kolumbien sind Lösegeldzahlungen verboten – zumindest im Prinzip. 1993 versuchte die Regierung, die Entführungswelle per Gesetz einzudämmen. Im Anti-Entführungs-Gesetz finden sich eine Fülle von Bestimmungen, die vor allem die Geldströme in dem Geschäft stoppen sollen. Wer sich an einer Entführung bereichert, kann bestraft werden. Selbst die Verhandlung über ein Lösegeld ist strafbar.

Nach mehreren Einsprüchen kippte das Verfassungsgericht das Gesetz de facto: Das Recht des einzelnen auf Freiheit und Leben stehe stets über dem Ziel des Staates, mit der Entführungsindustrie Schluß zu machen.

Seitdem gilt: Wer Lösegeld zahlt, um das Leben eines Entführten zu retten, handelt aus humanitären Gründen und damit im Notstand.