Wer wechseln will, muß vor Gericht

■ In den neuen Ländern können die Stromriesen ihr Monopol behalten. Die Veag wird mit einer Ausnahmeregelung vor Verlusten geschützt

Deregulierung, freier Handel und der Wettbewerb um jeden einzelnen Kunden – Europa scheint bald ganz von freifließenden Elektronen bestromt. Ganz Europa? Nein! Ein Stromkonzern ganz am Rand der EU hält sich tapfer mitsamt seinem Monopol: die Vereinigte Energie AG (Veag).

Die Veag entstand mit der Wende. Damals, 1990, kam nach dem Einigungsvertrag gleich noch der Stromvertrag hinterdrein. Die drei Energieriesen aus dem Westen – RWE, PreussenElektra und die Bayernwerke – führten die Geschäfte und wollten sich mit Billigung der Bundesregierung praktisch das ganze DDR-Netz unter den Nagel reißen. 1994 konnten sie die Veag für verhältnismäßig lächerliche 8 Milliarden Mark von der Treuhand kaufen.

Doch damit wurden auch die Kraftwerks-Verhältnisse der DDR zementiert. Die war der größte Braunkohleförderer der Welt mit einem sagenhaften Ausstoß von Dreck und das Klima aufheizendem Kohlendioxid pro Kopf. Die Veag baute neue Kraftwerke – auf Druck auch der Politik wieder Kohle verbrennende Monstren. Der offizielle Grund: Arbeitsplätze gehen vor Umwelt. Die Jobs der Braunkohlekumpel müßten gesichert werden, so damals die einhellige Politikermeinung. Und die Veag investierte – bis Ende 1997 13 Milliarden Mark.

Rund 8.000 Menschen beschäftigt die Veag derzeit noch. Aber bis zum Jahr 2000 sollen es nach Firmenangaben nur noch knapp 6.000 sein. Seltsam nur: Die etwa 170 Stadtwerke im Osten investierten seit 1990 bis heute nur 6 Milliarden Mark in Strom, Gas oder Wasser, so schätzt der Verband kommunaler Unternehmen. Damit sichern sie aber zirka 35.000 Arbeitsplätze in den neuen Ländern, deutlich mehr als die Veag mit ihren Rieseninvestitionen. Nebenbei haben sie ihr Geld in umweltfreundlichere kleinere Kraftwerke vor Ort gesteckt, die gleichzeitig Strom und Fernwärme produzieren.

Wenn nun der Preis pro Kilowattstunde sinkt, verzinsen sich die Milliarden für die Kohlekraftwerke der Veag nicht mehr wie geplant – die Fachleute sprechen von „gestrandeten Kosten“. Um die Eigner der Veag vor größeren Verlusten zu schützen, wird für den ostdeutschen Verbundriesen eine Ausnahmeregelung im Energiewirtschaftsgesetz geschaffen: Wenn einer ihrer Kunden zu einem anderen Versorger wechseln will, muß er sich dieses Recht erst vor Gericht erklagen. „Der Richter muß dann klären, ob für uns eine ausreichend hohe Braunkohleverstromung gesichert ist“, so Veag-Sprecher Schleich. Was „ausreichend hoch“ ist, erwähnt das neue Gesetz nicht. Bisher waren der Braunkohle 70 Prozent am Stromverbrauch der neuen Länder vertraglich zugesichert.

Für die Ost-Stadtwerke gilt der Schutz vor „gestrandeten Kosten“ nicht. Ihre Kunden können mit dem ersten Gültigkeitstag des neuen Energiewirtschaftsgesetzes von der Veag abgeworben werden. Sie erhalten nur eine zugesicherte Gebühr für die Durchleitung.