15 Jahre Gefängnis wegen Totschlags

■ Nach der Urteilsverkündung kam es im Landgericht zu Auschreitungen

15 Jahre muß Sedik S. hinter Gitter, weil er einen 16jährigen und dessen Vater erschossen hat – wegen Totschlags, nicht wegen Mordes. Als der Angeklagte nach dem Urteilsspruch aus dem Saal geführt werden sollte, platzte dem Sohn und Bruder der Opfer der Kragen. Er sprang auf, machte eine Bewegung in Richtung des gerade Verurteilten und warf einen Gegenstand nach ihm. Die ohnehin schon explosive Stimmung im vollbesetzten Zuschauerraum entlud sich innerhalb von Sekunden – eine Massenschlägerei in Saal 218 des Landgerichtes zwischen Polizeibeamten und Zuschauern war die Folge. Zwei Polizisten wurden leicht verletzt, ein Zuschauer bekam eine Platzwunde am Kopf ab.

Das Urteil der 2. großen Strafkammer gegen den 39jährigen Türken Sedik S. war Freunden und Verwandten der Opfer zu milde erschienen. Die Mutter und Ehefrau der zwei Getöteten erlitt im Gerichtssaal einen Kreislaufkollaps.

Als Motiv für den zweifachen Totschlag hatte Sedik S. die Verletzung seiner Ehre angegeben. Das 16jährige Opfer soll im Frühjahr in einer Schule in Bremen-Nord die Tochter des Angeklagten sexuell belästigt haben. Sedik S. ging von einer versuchten Vergewaltigung aus. Ob dieser Vorwurf berechtigt oder unberechtigt im Raum stand, konnte und wollte das Gericht nicht klären – hier sollte es um den Tod der zwei Männer gehen. Sedik S. war eigens aus der Türkei gekommen, wo er arbeitete, um den Vorwurf der versuchten Vergewaltigung auf eigene Faust zu klären. Bei einer Aussprache mit dem verdächtigten Jungen und dessen Vater eskalierte der Konflikt, Sedik S. schoß. Der Verurteilte hatte zu Anfang des Prozesses geäußert, daß er eine Bestrafung des Jungen durch dessen Vater erwartet hätte.

Die Staatsanwaltschaft hatte als Tatmotiv die verletzte Ehre des 39jährigen Angeklagten angenommen und sah in der Tat nur Totschlag. Der Anwalt der Mutter und Ehefrau, die als Nebenklägerin auftrat, hatte dagegen auf Mord plädiert, weil Sedik S. aus Rache gehandelt habe. Er wollte Sedik S. lebenslang hinter Gittern sehen.

Letztendlich folgte das Gericht in seiner Urteilsbegründung den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Das Gericht verzichtete auf eine lebenslange Freiheitsstrafe, weil es den kulturellen Hintergrund des Angeklagten und das Ehrverständnis in dessen Heimat als tatbestimmend erachtete. Die Tat sei weder heimtückisch noch aus niederen Beweggründen begangen worden, begründete die vorsitzende Richterin den Entschluß, Sedik S. nicht wegen Mordes zu verurteilen.

Sachverständige hatten dem 39jährigen bescheinigt, sich trotz der Ehe mit einer Deutschen „in fast zwanghafter Weise an den Regeln und Verhaltensweisen seiner Heimat zu orientieren“. Auch wenn Sedik S. grundsätzlich an hiesigen Maßstäben zu messen sei, könne diese starke kulturelle Prägung in der Urteilsgebung berücksichtigt werden. „Es war nach seinem Verständnis seine Aufgabe, die Familienehre wiederherzustellen“, sagte die Vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung. „Was ist das für eine Ehre?“rief eine Tochter der Nebenklägerin der Richterin zu. „Soll sich jeder Türke bei jeder Beleidigung töten lassen?“cd

(siehe auch Interview)