Elbtunnel: „Nicht erforderlich“

■ Finanzchaos bedroht die 4. Röhre / Bundesrechnungshof empfiehlt den Verzicht / Hamburg will keinen Pfennig dazuzahlen Von Florian Marten

Schon im Spätherbst sollen die Bagger anrollen, die Banken stehen bereits Kredit bei Fuß, im Juni wollten die Politiker in Bonn ihre goldenen Füllfederhalter zücken – doch urplötzlich sind finstere Wolken am Planerhimmel aufgezogen, und das nicht nur wegen der gerade begonnenen Verhandlungen vor dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht (taz berichtete gestern). Es scheint, als könnte der Bau der 4,4 Kilometer langen zweispurigen 4. Autobahnröhre zwischen Waltershof und Bahrenfeld in vorletzter Sekunde an Finanzproblemen scheitern. Sogar der Bundesrechnungshof empfiehlt jetzt den Verzicht auf „das nicht erforderliche Tunnelbauwerk“.

In der Tat – die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Noch 1987 mit 480 Millionen Mark kalkuliert und schon damals als unbezahlbar aus der Bonner Planung gekickt, haben sich die Kosten jetzt nach Angaben des Bundesfinanzministeriums auf insgesamt 1,8 Milliarden Mark vervierfacht (880 Millionen reine Baukosten, 920 Millionen Mark für Finanzierungskosten). Dirk Fischer, CDU-Chef in Hamburg, verkehrspolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion und Tunnel-Fan, flucht: „Schlampige Kostenermittlung durch den Senat!“ Seine Mahnung: „Bonn und Hamburg müssen eine Finanzierung vorlegen!“

Denn an dieser mangelt es. Hamburg ist es immerhin gelungen, den Elbtunnel in die Liste von 12 privat vorfinanzierten Verkehrsprojekten zu bekommen, mit denen Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) die riesigen Finanzlöcher seiner Bundesverkehrswegeplanung verschleiern will. Deutschlands konservativer Verkehrswissenschaftspapst Gerd Aberle schimpft: Die Privatfinanzierung von Infrastrukturprojekten ist der „Versuch, fundamentale Fehler in der Verkehrsfinanzierung zu kaschieren“. Sie bürde das wirtschaftliche Risiko dem Steuerzahler auf, enge zukünftige Handlungsspielräume ein und verspreche allenfalls Banken und Bauindustrie sichere Renditen.

Kein Wunder also, daß sich bei genauer Kalkulation von Wissmanns 12 Projekten sofort herausstellte, daß die ursprünglichen Ansätze nicht zu halten waren. Das Bundesverkehrsministerium fordert deshalb von den norddeutschen Ländern einen kräftigen Beitrag zur Finanzierung des Elbtunnels: 300 Millionen Mark sollen von 2003 bis 2018 aufgebracht werden. Überdies müßte Hamburg für diesen Zeitraum auf alle weiteren Projekte im Rahmen des Bundesfernstraßenbaus verzichten.

Zwar tönte Bausenator Eugen Wagner umgehend, Hamburg werde keinen Pfennig zuzahlen. Im Senatsgehege hat freilich längst das große Rechnen begonnen. Schließlich will SPD-Bürgermeister Henning Voscherau mit dem Tunnelbau in die deutsche Verkehrsgeschichte eingehen. Ärger könnte es nicht nur in der Hamburger Öffentlichkeit geben, der Voscherau die 4. Röhre immer als Bonner Geschenk schmackhaft gemacht hatte. Die gigantische Kostenexplosion bedroht auch die Planungsgrundlage selbst: Ein positiver Kostennutzen-Faktor ist Voraussetzung für Projekte dieser Art. Die Vervierfachung der Gesamtkosten dürfte diesen Faktor unter die kritische Schwelle gedrückt haben – und konkurrierenden Projekten wie etwa einer östliche Elbquerung der geplanten Autobahn A20 nutzen.

Fazit des GAL-Elbtunnelspezialisten Martin Schmidt: „Das Elbtunnelprojekt ist sowohl von der Finanzierung als auch von seinen planungsrechtlichen Voraussetzungen erneut ernsthaft in Gefahr.“ Martin Schmidt wundert das genausowenig wie den Bundesrechnungshof, der bereits in seinem Prüfbericht vom 31. Oktober 1994 unmißverständlich klarstellt: „Die Straßenbauverwaltungen der Länder werden durch die Privatfinanzierung in die Lage versetzt, zu aufwendig zu bauen. Sie erstellen nicht erforderliche Tunnelbauwerke oder stellen überzogene Anforderungen.“

Das Fazit von Deutschlands obersten Kassenwächtern: „Der Bundesrechnungshof regt angesichts der regelrechten Kostenexplosion an, im Hinblick auf die angespannte Finanzlage des Bundes nach alternativen Trassen für eine Elbquerung auch außerhalb der Hansestadt Hamburg zu suchen.“