■ Soundcheck
: PJ Harvey/Tricky

Gehört: PJ Harvey/Tricky. Eine Menschentraube quoll am Mittwoch bis zur Kiez-Kirche, willig den Gottesdienst von „Reverend Polly Jean Harvey“ entgegenzunehmen. Dabei störten sich viele daran, daß Trickys Dancefloor-Blues längst verklungen war, als noch bestimmt mindestens einhundert Zuhörer am Eingang zu filzen waren. „Was kümmern uns die Gäste?“ dachte man sich vielleicht in der Großen Freiheit. „Hauptsache, die Ordner müssen keine Überstunden schieben.“ Die Konzerte, das Publikum, die Stars und die Ordner – für Überraschungen ist diese Konstellation immer gut. Und die Frage stellt sich: Haben Ordner Gewerkschaften? Wenn ja, haben sie eine gute.

Empfangen wurde man dann von einem schwitzenden Dampfkessel, der PJ Harveys ersten Satz aus dem Titelstück ihrer aktuellen LP I Was Born In The Desert seiner Metaphorik entkleidete. Wie zu erwarten war, erschien PJ Harvey im dunkelroten Abendkleid mit einem Ausschnitt, der nicht für ihren hageren Körper gemacht schien. Ein souveränes Spiel mit Männerblicken entspann sich aus ihren Ambivalenzen. Hexe, Vamp, Psychopathin, Melancholikerin und einiges mehr. Ob unter einem Lichtquader, der ihr Kleid fast durchsichtig machte, oder fordernd und rotzend dem Körper freien Lauf lassend, PJ Harvey bewegte sich im Abendkleid, das jahrhundertelang die weibliche Bewegungsfreiheit einschränkte, ebenso selbstverständlich wie ambivalent. Harveys Feminismus zielt gegen die Stereotypisierung von Frauenbildern, die sie ebenso wie ihr Abendkleid zweckentfremdet.

Volker Marquardt/Foto: JMS