Schlüssel zum Glück

■ Propagiert das Hollywood-Kino die Musterfamilie?

Herrscht in Hollywood ein Zentralkomitee, das uns bestimmte Denk- und Verhaltensweisen aufzwingen will? Jan Distelmeyer scheint davon auszugehen. Seine Abhandlung in der aktuellen Ausgabe der Szene versucht die Wiederbelebung des längst totgeglaubten Genres der Ideologiekritik.

Über drei neuere US-Filme, die derzeit in Hamburger Kinos laufen oder demnächst starten, macht Distelmeyer sich her. Kaffee, Milch und Zucker, Legenden der Leidenschaft und Betty und ihre Schwestern appellierten an „altbewährte Tugenden“, behauptet er. Das meint er als Vorwurf. Die Familie liefere in allen drei Filmen den „Schlüssel zum Glück“ und fungiere als universeller Problemlöser.

Einige argumentative Klimmzüge sind notwendig, um diese Behauptung zu stützen: Die Rollen der Geschlechter seien „in jedem Fall“ eindeutig verteilt, lautet etwa ein zentraler Kritikpunkt. Wie das bei einer reinen Frauen-WG wie in Kaffee, Milch und Zucker möglich sein soll, wird nicht erklärt. Winona Ryder erscheint in Betty und ihre Schwestern auch nicht als klassisches Weibchen, wenn sie versucht, sich im New York der 1870er Jahre als Schriftstellerin durchzusetzen. Distelmeyer hat damit kein Problem: Das seien „emanzipatorische Übersprungshandlungen nach getaner Hausarbeit“.

Inwiefern die Familie Brad Pitt in Legenden der Leidenschaft zu einem glücklichen Leben verhilft, vermag ich ebenfalls nicht zu erkennen. Nebenbei : Der Film spielt nicht, wie Distelmeyer behauptet, zur Zeit des Bürgerkriegs, sondern 50 bis 60 Jahre später.

Eine Ungenauigkeit, nicht entscheidend, aber bezeichnend. Entscheidend ist dagegen, daß Distelmeyer eine Frage nicht beantwortet: Was ist so verwerflich an dem „Fluchtpunkt Familie“? Warum wird er so wütend, wenn diese Institution als erhaltens-wert dargestellt wird? Es geht ja nicht um Musterfamilien: Einer fehlt die Mutter, der anderen der Vater, die dritte kommt ganz ohne Verwandtschaftsbeziehungen aus. Wofür die Filme eintreten, ist keine bestimmte Familienform, sondern ein familiärer, solidarischer Umgang miteinander. Der muß nicht auf Blutsverwandte beschränkt bleiben: Der indianische Erzähler in Legenden der Leidenschaft ist adoptiert.

Es geht auch um die Verständigung zwischen Generationen: Angesichts der Katastrophen, die die Eltern und Großeltern mitverursacht haben, ist es nur berechtigt, wenn die Kinder und Enkelkinder ihren Ratschlägen mißtrauen. Aber wenn der Kontakt gänzlich abrisse, wäre das womöglich die größere Katastrophe. Die Fragen, die die Filme aufwerfen, sind zu wichtig, um sie kampflos konservativen Politikern zu überlassen.

Die Ablehnung, die die Filme teilweise erfahren, hat vielleicht noch einen ganz anderen Grund: Sie sind rührselig, zielen direkt auf die Tränendrüsen der Zuschauer und rufen damit ein Gefühl von Schwäche und Verletzlichkeit hervor wie kein anderes Genre. Daß sie damit recht erfolgreich sind, ist zum einen ein Zeichen für ihre handwerkliche Qualität. Doch das allein wäre nicht genug, es muß auch etwas da sein, an das sie rühren können. Die Momente heftiger Gefühle im Kino, seien es Heiterkeit, Zorn oder Trauer, sind immer auch Momente der Wahrheit. Sie bieten den ZuschauerInnen die Gelegenheit, etwas zu erkennen. Wer diese Chance nicht wahrnehmen will, sollte das nicht dem Film zum Vorwurf machen.

Hans-Arthur Marsiske