Vom „wilden Weib“

Zwischen Totenschädel und Drachenzunge: Sprechstunde im Hamburger Hexenarchiv  ■ Von Dorit Koch

Hexensalbe und Teufelsdreck, Elefantenläuse, Schlangeneier und Drachenzungen: Im Hexenarchiv des Hamburgischen Museums für Völkerkunde wimmelt es von Wundermitteln. Ausprobieren dürfen Frau und Mann die zauberhaften Zutaten zwar nicht, aber dafür Einblick nehmen in die rund 200 Aktenordner mit Material zum Thema Hexen, Teufelsglauben und Exorzismus. Einmal in der Woche empfängt Maren Tomforde, Archiv-Leiterin und einzige Mitarbeiterin in Personalunion, BesucherInnen aus aller Welt zur Sprechstunde zwischen Totenschädel und Hexenbesen.

„Fünf bis zehn Interessenten kommen pro Sprechstunde“, erzählt die Ethnologin. Immer mittwochs nimmt sie sich von 13 bis 16 Uhr Zeit für die Ratsuchenden. Das sind, neben solchen, die das Archiv für wissenschaftliche Zwecke nutzen wollen, vor allem Menschen, die sich Hilfe bei privaten Problemen erhoffen. Wie die Frau, die überzeugt davon ist, verhext zu sein – schließlich habe sie seit zwei Jahren keine Beziehung mehr zu einem Mann gehabt. Oder der Mann, der sein Amulett loswerden will, weil es ihn depressiv macht.

„Einige Frauen halten sich aber auch selbst für Hexen“, erzählt Tomforde. Oder andere: Ein Brief an das Hexenarchiv enthielt ein Foto, das eine Frau von ihrer Nachbarin gemacht hatte. Sie war sich sicher, daß sie neben einer Hexe lebt.

Seit 1979 gibt es die bundesweit einmalige Einrichtung, deren umfangreiches Archivmaterial dem Volksschullehrer Johann Kruse (1889-1983) zu verdanken ist. Der passionierte Hexenforscher dokumentierte die historischen Hexenverfolgungen und -prozesse und trug Informationen über den noch heute weltweit existierenden Hexenglauben und neue okkulte Bewegungen zusammen.

Anhand des Materials werde deutlich, wie sich das Bild gewandelt habe, meint Maren Tomforde. Die früher als „wildes Weib“, „Giftmischerin“oder „Schadenzauberin“beschimpfte Hexe werde heute vorwiegend als Heilerin mit magischen Kräften wahrgenommen. Mehr noch: Das einstige Haßobjekt und Opfer ist zum Symbol für weiblichen Widerstand avanciert.