Probesitzen direkt unter Gott

Jetzt ist alles zu spät: Rot-Grün ist da. Über den Schwur, entrückte grüne SenatorInnengesichter und führungsfixierte Sozis berichtet  ■ Silke Mertins

Macht macht nicht gierig. Macht macht selig. Wie glücklich Ruhm und Ehre machen, stand nicht nur auf dem Gesicht des neuen Ersten Bürgermeisters Ortwin Runde (SPD) geschrieben, als er der Verfassung mit „ich schwöre“das Jawort gab. Auch die GALier rührten die Amtswürden. Tapfer betonen sie zwar seit 15 Jahren, daß nichts ihre Herzen so bewegt wie die Sorgen der Menschen und Tiere und Flora und Fauna. Doch die entrückten Mienen der drei frisch gekürten SenatorInnen am vergangenen Mittwoch in der Bürgerschaft belegten, daß auch die Grünen simple Regungen, wie Freude über den persönlichen Erfolg, noch nicht zugunsten höherer Ideale überwunden haben.

Als hätten sie noch nie woanders gesessen, hatten Wissenschafts- und Frauensenatorin Krista Sager und Stadtentwicklungssenator Willfried Maier ihre Plätze auf der Senatsbank eingenommen. Nur der GAL-linke Umweltsenator Alexander Porschke fremdelte zunächst stehend an der Seite der Regierungsabteilung. Klarstellungshalber hatte er in seinen von der Staatlichen Pressestelle verteilten Lebenslauf hineingeschrieben, er habe seit 1980 „in verschiedenen linken und linksradikalen Gruppen“mitgearbeitet. Na, wenn das rauskommt.

Jetzt aber will man erst mal reinkommen in die Regierungsarbeit. Wäre es doch schon Dienstag. Denn dann endlich werden Sager, Maier und Porschke nach dem Probesitzen in dieser Woche in den ehrwürdigen Gemäuern mitreden können, in denen der Senat tagt und nur den Himmel, also Gott, über sich hat.

Schöner als erträumt wird besonders für Krista Sager die Arbeit im Senat. Henning Voscherau, der weder sie noch Rot-Grün leiden mochte, ist nicht mehr dabei. Seinen Lieblingssatz – „Wer nicht hören will, muß fühlen“– würde Bürgermeister Voscherau bei den Wahlen „womöglich am eigenen Leib zu spüren bekommen“, prophezeite Sager vor einem Jahr. Und tatsächlich nahm Voscherau nach dem Wahldebakel seinen Hut. Doch obwohl für Sager „Sympathie keine Kategorie ist, mit der ich Politik mache“, trat sie dem ungeliebten Voscherau im Laufe der Koalitonsverhandlungen mit seinem Nachfolger Ortwin Runde noch einmal schnell hinterher. Man käme deshalb so gut voran, weil „uns keiner in endlosen Monologen kostbare Lebenszeit klaut“.

Dafür hatte Voscherau es geschafft, den Grünen den gesamten Wahlkampf zu vergällen. Auf dem Parteitag im Mai gab er die neuen Wahlsprüche „Law and order is a Labour issue“und „Zero Tolerance“nach New Yorker Modell bekannt. Die Schlacht um die Innere Sicherheit nahm ihren Lauf. Wenige Wochen später verkündete er, die Gesetze seien „zu lau, zu lasch, zu langsam“und es sei nicht hinnehmbar, daß ausländische Straftäter deutsche Knäste „verstopfen“. Voscherau und CDU-Spitzenkandidat Ole von Beust überboten sich in Durchgreifparolen. Das Fegefeuer gegen das Verbrechen gipfelte in der Äußerung des Amtsrichters Roland Schill, die Todesstrafe nicht völlig zu vergessen.

Das Thema traf die GAL an einer empfindlichen, weil unterentwickelten Stelle. Sager selbst räumte „Defizite“ein. „Innere Sicherheit war ein Spezialistenthema, das von der Gesamtpartei kaum wahrgenommen wurde.“Wahlkampfhelfer Joschka Fischer legte mit „Linke müsse wissen, daß ein Klima der Angst auch in unserer WählerInnenschaft vorhanden ist“, nach.

Daß nicht alle in der Grünen Partei diese Mahnungen gern hörten, machte sich nur in einem intensiven, aber leisem Gemurre bemerkbar. Man wollte Sager, die ohnehin durch die Gegenkandidatur der Parteilinken Anna Bruns im April um die Position der Spitzenkandidatin politisch angeschlagen war, nicht noch weiter schwächen.

Unmut machte sich aber auf der GAL-Landesmitgliederversammlung Luft. Doch die, teils massive, Kritik wirkte eher wie ein klärendes Gewitter; die Verhandlungsdelegation bekam für ihren wenig glanzvollen Vertrag letztlich eine Zweidrittelmehrheit. „Die Braut ist häßlich, aber geheiratet werden muß sie doch“, sagte GALier Klaus Kronenberg über das Bündnis mit der SPD. Auf die inneren Werte kommt es schließlich an.

Doch eben diese Werte sind zuweilen austauschbar. Nickten die führungsfixierten Genossen noch im Frühjahr Voscherau und sein rechtskonservatives Programm ab, votierten sie nun einstimmig für Rotgrün. Beides ohne politische Debatte. Diskutiert wird, wenn überhaupt, in internen Kungelklübchen. Denn die seit vierzig Jahren in Hamburg regierende SPD ist eine Institution wie die britische Monarchie. Die GAL wird sich schwer tun, bei Hofe ihren Platz zu finden. Vielleicht aber auch nicht. „Wie in einer Familie“fühlte Sager sich schon in der Verhandlungskommission. Auch die Sozis betrachten die GALier zuweilen gern als vom rechten Weg abgekommene Jusos. Und als solche können sie nun in den Schoße der Familie wieder aufgenommen werden.