Ohnsorg in Mittelengland

■ Arnold Ridleys „Geisterzug“im Theater im Zimmer

Versetzt man die Welt des Hamburger Ohnsorgtheaters in Gedanken nach Mittelengland, so bekommt man eine ganz gute Vorstellung vom Wesen des britischen Kriminalstücks: Der Witz des Werkes offenbart sich weniger in inhaltsschwerer Handlung als im situationskomischen Aufeinanderprallen für typisch gehaltener Charaktere der Gesellschaft.

In Arnold Ridleys Geisterzug sind die Frauen ausnahmslos hysterisch und die Männer entweder schwule Dandys oder schlagkräftige Gentlemen. Was sie verbindet ist, daß sie alle ihren Anschlußzug verpaßt haben und nun in einem kleinen Nest festsitzen, in dem es weder Hotels noch Taxis gibt. So müssen sie die Nacht in dem unwirtlichen Wartesaal der Station verbringen – eine gute Gelegenheit für frisch Verliebte und Langverheiratete, vor dem amüsierten Publikum Beziehungsprobleme zu diskutieren.

Dummerweise spukt es in dem Bahnhof, und Regisseur Christoph Roethel gelingt es mit ein paar Knalleffekten, den Zuschauer wenigstens akustisch am Schrecken teilhaben zu lassen. Roethel hat bisher vor allem mit seinen überzeugenden Beckett-Inszenierungen den Ruf des Theaters im Zimmer hochgehalten. Den Geisterzug läßt er wohl eher aus finanziellen Erwägungen über die Bühne fahren.

Es gelingt ihm eine Inszenierung, die einem zwar nicht gerade die Tränen in die Augen treibt, aber durchaus einige grotesk-komödiantische Höhen zu bieten hat. So gefällt Thor W. Müller in der Rolle des wohlgekleideten Spaßvogels Teddie Deaken, der sich rührend um die alte Miss Bourne (Roswitha Steffen) kümmert, die nach einem ordentlichen Schluck aus dem Flachmann die zweite Hälfte des Stückes liegend auf der Bank verbringen muß. Michael von Rospatts trocken-distinguierte Darstellung des Stationsvorstehers Saul Hodgkins schließlich belegt endgültig die innige Verwandtschaft von hanseatischer und britischer Seele.

Was als Komödie angefangen hat, wird nach der Pause tatsächlich zum Kriminalstück. Die nervösen Damen der Gesellschaft zittern nicht mehr vor vermeintlichen Gespenstern, sondern vor bösen Männern mit altertümlichen Feuerwaffen. Das Publikum, von dem ein Großteil schon seit vielen, vielen Jahren seinen Premieren-Stammplatz innehaben dürfte, ist zufrieden: Mit langanhaltendem, freudigem Applaus dankt es Roethel die Tatsache, daß es diesmal vom Warten auf Godot verschont wurde.

Peter Zöttl