Bypass für den Verkehrsinfarkt

■ Der Autotunnel unter dem Tiergarten ist termingerecht fast zur Hälfte fertig. Wo heute jede Woche zehn Meter Betonröhre verlegt werden, sollen ab 2000 täglich 60.000 Autos brausen

Wieder einmal ist die Straße schneller als die Schiene: Während die Bahntunnel unter dem Tiergarten gerade angestochen werden, ist der Autotunnel unter der ehemaligen Entlastungsstraße B96 bereits zu vierzig Prozent fertig. Gestern verkündeten Bauherr und Planer stolz, daß die 730 Millionen Mark für das Bauwerk planmäßig in der Erde vergraben werden. Ende 2000 sollen die ersten Autos durch den vierspurigen Tunnel rollen.

Von den insgesamt 2,4 unterirdischen Kilometern, auf denen die Autos vom Landwehrkanal unter dem Tiergarten bis hinter den Lehrter Bahnhof geführt werden sollen, sind bereits etwa 800 Meter fertig: Die Betonkästen werden in offener Baugrube gebaut, erklärte Jörg Erdmann von der Firma Schüßler-Plan Consult. Wegen des Wasserdrucks werden Wände und Sohle durch Hunderte von Metallankern befestigt. Im Schnitt stellen die Arbeiter unter dem Tiergarten jede Woche zehn Meter Tunnel fertig und vergießen insgesamt fast 200.000 Kubikmeter Beton. Anders als bei den Bahntunneln wurde der Straßentunnel nicht mit großem Brimborium getauft. Nach berühmten Frauen wie Hannelore Kohl werden nämlich nur „bergmännisch gebaute“, also im Schildvortrieb errichtete Tunnelstücke benannt.

Ende 1998 sollen die Bauarbeiten so weit beendet sein, daß die Spree wieder in ihr altes Bett zurückkehren kann. „Wir liegen voll im Zeitplan“, sagte Frieder Bühring von der Bauverwaltung. Davon kann die Deutsche Bahn AG nur träumen: Seit ihr Bahntunnel am Landwehrkanal am 9.Juli durch Wassereinbruch abgesoffen ist, hinken die Planer um Monate hinter ihrem Zeitplan her. Um die Verzögerungen und die bisherigen Verluste „in zweistelliger Millionenhöhe“ möglichst gering zu halten, sollen die Schildvortriebs- Maulwürfe der Bahn nun am Reichstag mit der Wühlarbeit beginnen. Gleich nebenan frißt sich seit dieser Woche ebenfalls eine Bohrmaschine voran, um den Tunnelstutzen für die „Kanzlerbahn“ U5 zwischen Lehrter Bahnhof und Pariser Platz anzulegen. Eine Bahn wird dort allerdings in den nächsten Jahren nicht fahren, da es keinen Anschluß an andere U-Bahnlinien gibt. Ein ähnliches Schicksal blüht dem Tunnelstück der U3 bei Debis: Zwar ist die Kreuzung mit dem Autotunnel fertig und buddelt Debis gerade die Baugrube für den Hauptteil – doch auch hier fehlt der Anschluß an die U-Bahn. Den soll die umstrittene Pré- Metro bringen, hofft Debis.

Ihr eigentliches Gebiet sind aber die Autos, stellt die Daimler- Tochter zur Schau: In sein höchstes Haus am Potsdamer Platz hat der Konzern den südlichen Abgaskamin für den Autotunnel integriert. Gleich neben dem Debis-Würfel auf dem Dach stinken dann die Abgase von täglich 30.000 Autos ungefiltert in die Atmosphäre. Bernhard Pötter