„Am einsamsten war ich mit Partner“

Die Suche nach dem Kraut gegen Einsamkeit ist schwer. In einem „Treff zur Entwicklung sozialer Beziehungen“ in Hohenschönhausen soll das Gewächs Wurzeln schlagen  ■ Von Barbara Bollwahn

Da hängen sie fein säuberlich in Plastikhüllen abgeheftet, die Wünsche für die Flucht aus der Einsamkeit. Eine 30jährige Justizangestellte sucht „neue Freundschaften zum geselligen Beisammensein, für Spieleabende, Radtouren und gemeinsame Reisen“. Ein 26jähriger Koch, der „Spaß am Leben“ hat, will Menschen zum „Meinungsaustausch und Spaß am Leben“ kennenlernen.

„Partner für Freizeit“ steht auf dem Hefter, der an einem Nagel im Gasthaus Eisberg hängt. „Partnerschaft, Liebe, Zweisamkeit und mehr“ heißt es auf einem zweiten. Darin sucht zum Beispiel eine 21jährige Verkäuferin, die sich als launisch, spontan und romantisch beschreibt, eine feste Partnerschaft. Maskulin, handwerklich, ehrlich, hat sie unter der Rubrik „sehr wichtig“ angekreuzt. Spontan und unternehmungslustig sind ihr „wichtig“.

Seit etwa sechs Wochen fungiert das würfelförmige Gasthaus in Höhenschönhausen als kostenlose Kontaktbörse, als „Treffpunkt zur Entwicklung sozialer Beziehungen“. In einem Schreiben des Inhabers an die Gäste heißt es: „Für jede Frau und jeden Mann zwischen 14 und 80 Jahren werden sich andere Menschen für Gemeinsamkeiten finden lassen.“

Die Idee dazu hatte Mario Kutz. Sein Beweggrund: „Berlin ist eine der traurigsten Städte an Einsamkeit in Deutschland“, sagt er. „Kommunikativer Stillstand“ und ein „Übersättigungsangebot“ seien schuld an der „elenden Vereinsamung“. Deshalb will der gelernte Elektriker einen Ort schaffen, an dem sich Menschen „ohne Zwang“ einfach nur treffen und kennenlernen können. „Der Rest muß von ihnen allein kommen.“

Nach langer Suche nach einem geeigneten Ort hat er schließlich das Gasthaus Eisberg gefunden, das bereit war, als „kommunikativer Treffpunkt“ zu fungieren. Nachdem der 35jährige vor knapp zwei Monaten 6.000 Handzettel in Verbrauchermärkten in Marzahn, Hellersdorf, Lichtenberg und Prenzlauer Berg verteilt hat, füllen jetzt zwar etwa 50 Chiffrenummern die Hefter, doch zu den angebotenen täglichen Treffs kommen nur wenige. „Die Leute ergreifen zu wenig Eigeninitiative“, klagt Kutz über die geringe Resonanz.

Ein Vorwurf, den er sich selbst nicht machen muß: Bei seiner „Suche nach dem gewissen Glück“, habe er es auf stolze 1.500 Verabredungen seit seinem 16. Lebensjahr gebracht. Sein Fazit: Die Frau, mit der er eine „gleichberechtigte Partnerschaft“ führen könnte, gibt es nicht in Berlin. Und manchmal, da fühlt er sich „sehr, sehr einsam“. Was ihn antreibt? „Ich will nicht auf meinen Sargdeckel warten.“

Kutz vergleicht sich gern mit einem Zahnarzt, der nie mit seinen Zähnen Probleme hatte und deshalb nicht wisse, was Schmerz ist. Aber Kutz weiß, was Einsamkeit ist. Seit einem schweren Autounfall 1986 ist er auf dem rechten Auge erblindet. „Da fiel ich in ein großes, schwarzes Loch“, erinnert er sich. „Ich habe die Einsamkeit direkt erlebt.“ Stand er vorher als Discjockey und Jugendclubleiter im Mittelpunkt – „ich kam bei den Frauen an“ – fühlte er sich plötzlich „von der Gesellschaft ausgeschlossen“.

Nach „vielen schweren Jahren“ hatte es Kutz geschafft, aus der Isolation auszubrechen. „Heute ziehe ich aus allem Negativen etwas Positives“, sagt er. Geholfen hat ihm dabei das Schreiben. Anfang Dezember kommt in einem Offenburger Verlag sein Buch „Leasing Man“ heraus. Ein Buch, in dem es um das „Universum der partnerschaftlichen Zusammenhänge“ geht, deutet er geheimnisvoll an. Ob es ein Flop wird oder nicht, ist Kutz egal: „Damit ist mir ein riesiger Stein von der Seele gefallen.“ Trotzdem ist auch Kutz nicht vor Rückschlägen gefeit. Es sei „eklig“, wenn „das Seil reißt, an dem man sich aus der Grube ziehen will“.

Die 49jährige Brigitte hat ihre Chiffrenummer im Eisberg aufgehängt. Sie hat den Schritt aus der Anonymität ihres 11geschossigen Wohnhauses getan, weil sie „schlecht auf die Straße gehen kann und fragen, haste mal Zeit“. Außer ihren drei Kindern habe sie niemanden, mit dem sie reden kann. Und weil die Kinder irgendwann aus dem Haus gehen, will sie „jetzt anfangen, was aufzubauen“.

Sogar ein Beamter im Ruhestand aus Lankwitz gehört zu den Besuchern des Eisberg-Treffs. „Ich lebe allein und will freundschaftliche Kontakte“, erzählt der 54jährige. Es sei „erstaunlich“, beklagt er, wie schwer es derlei Gruppen in Berlin haben. „Die meisten wollen geführt werden.“ Vielleicht seien Singles auch etwas „neurotisch“, räumt er ein. Aber daß niemand die Initiative ergreifen will, versteht er nicht. Das Alleinsein sei nicht das Problem, betont er. „Die größten Gefühle der Einsamkeit habe ich erlebt, als ich mit meiner Partnerin zusammen war.“ Nach 19 Jahren Ehe und mehreren Beziehungen ist der 54jährige seit fünf Jahren allein und sucht „Menschen, die nicht so sehr festgelegt sind“. Mit denen er auch „über das Alltägliche hinaus“ reden kann. Über den Sinn des Lebens beispielsweise.

Schon länger im Geschäft der Kontaktvermittlung ist die 42jährige Gisela Baum (Name geändert). Vor einem Jahr gründete die gelernte Krankenschwester die „Single Freizeit Börse“, die sich mittlerweile „Cocktails-Single-Datenbar“ nennt. Dort werden Freizeitaktivitäten organisiert, „für Menschen, die keine Zeit oder keine Lust haben, sich selbst darum zu kümmern“. Hat man den Aufnahmebogen mit seinem Freizeit- und Persönlichkeitsprofil ausgefüllt, erzählt sie, müsse man sich nur noch „zurücklehnen und auf einen Anruf warten“. Findet Gisela Baum einen „Cocktails-Gast mit dem gewünschten Profil“, wird ein Unkostenbeitrag von 15 Mark fällig. Mittlerweile machen etwa 200 Leute bei ihr mit. Doch noch hätten viele Angst, daß sie sich zu etwas verpflichten müßten. „Es gibt eine hohe Dunkelziffer an Treffs“, weiß Gisela Baum. „Da wird viel Schindluder betrieben.“