Das alltägliche Gesicht des Bösen

■ Eine britische Dokumentation über "Die Nazis" zeigt: Vorauseilender Gehorsam und auch Denunziation waren durchgängige Prinzipien in Nazideutschland (Teil 1: Sonntag, 20.15 Uhr, N3)

Eine britische Neuauflage von Daniel Goldhagens Buch über „Hitlers willige Vollstrecker“ sei der BBC-Sechsteiler „Die Nazis“ nicht, meint NDR-Redakteur Volker Zielke. Doch ähnlich wie der US-Autor kratzt auch BBC-Mann Laurence Rees mit seinem Projekt nachhaltig an deutschen Mythen. Etwa an jenem Mythos vom verführten Volk, an dem Mythos vom Befehlsnotstand oder an dem Mythos von der allgegenwärtigen Gestapo.

Bei der BBC hat Rees einiges Renommee: Er verantwortet das hochgeschätzte Magazin „Timewatch“ und beschäftigt sich in seiner Arbeit bereits seit längerer Zeit eingehend mit dem Dritten Reich und mit dem Zweiten Weltkrieg. Dabei hat er auch seinem eigenen Land nichts erspart – etwa mit „A British Betrayal“, einer Reportage über englische Kriegsverbrechen.

Zusammengefaßt lautet Rees' Ergebnis, nachdem er drei Jahre den unterschiedlichsten Zeitzeugen hinterherrecheriert hat: Was Nazideutschland funktionieren ließ bis zuletzt, waren Untertanengeist und Denunziantentum. Vorauseilender Gehorsam ist für ihn das durchgängige Prinzip dieser Gesellschaft.

Neben vielen seit längerem bekannten Quellen schöpft Rees insbesondere aus zwei Arbeiten, die erst seit 1993 vorliegen. Die eine stammt von Ian Kershaw, Professor für neuere Geschichte der Universität Sheffield. Der ausgewiesene NS-Forscher nannte seine Studie „Working towards the Führer“.

Dieses Prinzip fand Kershaw in einer Rede des NS-Staatssekretärs Werner Willikens aus dem Jahr 1934. Darin erklärte Willikens, der Führer könne nicht alles, was er früher oder später zu tun gedenke, von oben anordnen; es habe jeder geradezu die Pflicht, „zu versuchen, im Sinne des Führers ihm entgegen zu arbeiten“. Kershaws These: Dieses Von-unten-nach- oben habe erschreckend gut geklappt; es habe selbst für die schlimmsten Greueltaten keine konkreten Befehle gebraucht und solche tatsächlich auch kaum gegeben.

Des weiteren stützt Rees sich auf den kanadischen Historiker Robert Gellately, der im Staatsarchiv Würzburg als erster Forscher jene raren 18.000 Gestapo-Akten durchforstet, die nur deshalb erhalten blieben, weil die Gestapo sie beim Eintreffen der Amerikaner nicht mehr hatte verbrennen können.

Unter anderem fand er heraus, daß die Gestapo gar nicht „überall“ gewesen sein konnte, weil auf die Region mit einer Million Einwohnern nur ganze 28 Gestapo- Beamte kamen – und weil 80 Prozent der verzeichneten Anzeigen sogenannter politischer Verbrechen nicht von Amts wegen ergingen, sondern von ganz gewöhnlichen Bürgern stammten.

„The everyday face of evil“ titelte der Guardian, als Rees' Doku- Reihe im September in der BBC lief. Eines der Gesichter gehört Maria Theresia Kraus, heute 77, die 1940 als 20jährige ihre Nachbarin, die Musikstudentin Ilse Sonja Totzke, wegen „auffälligen Verhaltens“ denunziert hatte. Die Spur ihres Opfers verlor sich im KZ Ravensbrück. Doch Frau Kraus, mit ihrer Anzeige konfrontiert, bestätigt zwar, daß sie unterschrieben hat. Daß sie jemals bei der Gestapo war, daran kann sie sich jedoch nicht erinnern. Ulla Küspert

Die weiteren Teile folgen an den kommenden Sonntagen jeweils um 20.15 Uhr auf N3