Der BUND am Scheideweg

Ein Vorstandspapier, das der „herrschenden Rechtsauffassung“ den Kampf ansagt, empört viele Mitglieder des Umweltverbands in Nordrhein-Westfalen  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Ein Richtungsstreit in Nordrhein-Westfalen greift an die Fundamente des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Manche sehen gar „Ökostalinisten“ am Werk. Andere wähnen den Umweltverband zumindest auf dem Weg in die Isolation. Es geht um ein Konzept, das innerhalb des BUND zur Zeit noch als „Internes Thesenpapier“ firmiert. In elf Thesen hat die Autorin und Landesvorstandsfrau des BUND, Traute Kirsch, den neuen Kurs zusammengefaßt. Auf einer Vorstandsklausur am 6. September wurden sie gebilligt.

Im Kern zielt das Papier darauf ab, den BUND darauf festzulegen, künftig vor allem den Kampf „gegen die herrschende Rechtsauffassung“ zu führen. Da diese die „Pflicht des Staates, durch Vorsorge gegen Schäden unsere Lebensgrundlagen zu erhalten“, nicht anerkenne, habe der BUND keine Chance mehr, Umweltbelange durchzusetzen und erfolgreich für den Erhalt der Lebensgrundlagen zu streiten, meint die Vorstandsfrau Kirsch.

Die Basis allen Übels sei, daß in der gesetzgeberischen und gerichtlichen Praxis „von einem Rechtsanspruch auf Durchführung wirtschaftlicher Vorhaben unter Hinnahme der Schadensfolgen und Risiken ausgegangen“ werde. Die Schutzplicht des Staates beschränke sich dabei darauf, nachweislich unmittelbar drohende Gefahren abzuwehren. Mit einer „solchen Rechtsauffassung sind Umweltverträglichkeitsprüfungen, die aus Gründen des Erhaltes der natürlichen Lebensgrundlagen zur Ablehnung eines Vorhabens führen müßten, unvereinbar“, heißt es in These II. Sie seien nichts weiter als Alibiveranstaltungen.

Verfassungsrichter als Verfassungsfeinde

Traute Kirsch, die seit Jahren gegen die Atomindustrie streitet und die Initiative „Unser Recht auf Stillegung“ (Unrast) gegründet hat, hält die gegenwärtige Rechtspraxis für unvereinbar mit dem Grundgesetz. Art.2 Abs.2, der das Recht auf körperliche Unversehrtheit garantiert, werde mißachtet.

Von den Abwägungsprozessen der herrschenden Rechtsprechung erwartet sie – auch angesichts der Deregulierungsgesetze im Umweltbereich – nichts mehr. Kirsch wörtlich: „Sich juristisch zu wehren nützt nichts. Ich sehe da für uns kein Aktionsfeld mehr.“ Im Thesenpapier hört sich das so an: „Unter den derzeitigen Voraussetzungen sind Prozesse nur noch dann zu führen, wenn sie zur Mobilisierung der Öffentlichkeit gegen die herrschende Rechtsauffassung genutzt werden können.“

Für Michael Ortmann, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats und ehemals Pressesprecher im BUND-Landesverband, markiert das Thesenpapier eine „Wende“. Wenn sich die künftige Politik im Landesverband an dieser „absolut verheerenden Strategie“ orientiere, könne man eigentlich nur noch austreten. Die vergangene, sehr erfolgreiche Arbeit des BUND wäre ad absurdum geführt, sollte sich die Vorstandslinie auch auf der Landesversammlung im nächsten Jahr durchsetzen. Hinter vorgehaltener Hand erscheint manchem BUND-Aktivisten die Art, wie der Landesvorstand sich am Bundesverfassungsgericht vorbei zum „alleinigen und allmächtigen Interpreten der Verfassung aufspielt, als pure Form des Ökostalinismus“.

Kein Recht, eigenes Recht zu setzen

Von einer solchen Zuspitzung und Polarisierung will der langjährige BUND-Vorsitzende in NRW, Dieter Schmalz, nichts wissen. Zwar wirft auch er, der heute als Jurist an der Fachhochschule in Münster lehrt, dem Verfassungsgericht vor, „uns im ökologischen Bereich im Stich gelassen“ zu haben. Dabei bezieht er sich auf das Urteil zum AKW Mülheim- Kärlich, in dem die Richter die Atomenergie als nicht gegen das Grundgesetz verstoßend beurteilt hatten. Doch auch Schmalz warnt vor dem Weg des jetzigen Vorstands: „Wir können deshalb nicht eigenes Recht setzen.“

In eine ähnliche Richtung argumentiert Christian Schrader, Fachhochschullehrer in Fulda und rechtspolitischer Bundessprecher des BUND. Wegen der mit der Atomenergie verbundenen hohen Risiken hält zwar auch Schrader die bisherigen Atom-Entscheidungen des höchsten deutschen Gerichtes „für nicht haltbar“. Doch gleichzeitig plädiert er dafür, immer wieder zu klagen, damit sich die Rechtsprechung ändert. Im übrigen könne man die Argumentation zur Atomenergie nicht auf jeden anderen umweltbelastenden Bereich unmittelbar übertragen. Wer das tue, riskiere, nicht mehr ernst genommen zu werden.

In Nordrhein-Westfalen argumentiert der BUND unterdessen auch in Sachen GarzweilerII mit der Grundgesetzwidrigkeit. Bei dem jetzt zur Genehmigung anstehenden Rahmenbetriebsplan sucht er damit vor allem die Grünen in der Landesregierung unter Druck zu setzen. „Jede wie auch immer geartete Zulassung dieses Planes wäre ein schwerer Verstoß gegen die Grundrechte der Betroffenen und damit verfassungswidrig“, heißt es in einer Erklärung. Sollten die Grünen den Plan passieren lassen, verlören sie „jegliche Glaubwürdigkeit“.