„Es wird die Zahnmedizin stark verändern“

■ Michael Noack, Geschäftsführender Direktor der Kölner Uniklinik für Zahn- und Kieferheilkunde, testet das Gel. Der Zahnarzt schätzt, die neue Behandlungsmethode sei in zwei Jahren praxisreif

taz: Kann Carisolv an jedem Zahn angewandt werden, egal wo die Karies sitzt und wie tief?

Michael Noack: Das Mittel ist noch nicht praxisreif. Wissenschaftlich ist bisher festgestellt, daß das Prinzip funktioniert. Bei tiefer Karies reicht eine einmalige Anwendung nicht. Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand haben wir ein sehr interessantes Gel, das es uns erlaubt, zu einer schonenden Zahnbehandlung zu kommen.

Was muß noch geprüft werden?

Ob es mögliche Einflüsse auf Nachbarzähne hat, wenn das Gel dorthin gelangt. Ob es nicht doch zu Irritationen des Zahnschmelzes kommt. Aber alles, was bisher an Information vorliegt, sagt uns, daß das Mittel als unbedenklich erklärt werden kann.

Sie sehen keinerlei Risiken und Nebenwirkungen?

Ich bin sicher, daß man das jetzige Prinzip in den nächsten zwei Jahren zu einem praxisreifen Mittel weiterentwickeln kann. Es wird die Zahnmedizin stark verändern.

Läßt sich ein mit Gel präparierter Zahn mit Amalgam füllen?

Nein, ebensowenig wie mit Gold. Wir brauchen dafür die neuen Füllungsstoffe wie die modernen Kompositstoffe. Die bestehen heute schon zu 70 Prozent aus Gläsern oder Quarzen.

Sie sind also begeistert?

Ich bin unabhängiger Wissenschaftler, der ein neu vorgestelltes Verfahren auf seine Wirksamkeit prüft. Ich bin nicht begeistert, weil wir schmerzfrei behandeln können. Mich reizt, daß die unerwünschten Wirkungen des Bohrens wegfallen, weil immer auch gesundes Zahnmaterial mit weggenommen werden muß. Langfristig wird der Eingriff am Zahn immer kleiner.

Was bedeutet das für die Zahnmedizin?

Daß die Wahrscheinlichkeit, Kronen und Brücken einsetzen zu müssen, immer geringer wird. Da sehe ich die Zukunftsperspektive.

Wie reagieren Ihre Probanden in Köln auf das Gel?

Wir probieren es zur Zeit an einer Handvoll Leuten aus. Aber seit es so in den Medien ist, können wir uns vor Anfragen nicht retten. Klinisch gesehen, sind wir noch in der Vorphase der Prüfung. An dem Tag, wo das Material in Schweden das Europäische Prüfsiegel erhält, beginnen wir in Köln mit der eigentlichen klinischen Studie. Das dürfte etwa Ende des Jahres sein.

Wer bezahlt solche Versuche?

Das läuft ohne Sponsor. Ich werde aus Steuermitteln bezahlt, und es ist meine Aufgabe, etwas für den Fortschritt und die Verbesserung der Gesundheit zu machen.

Könnte sich herausstellen, daß das Mittel doch schädlich ist?

Es ist schon heute nicht bestreitbar, daß es wirksam ist. Wir müssen prüfen, wie es anzuwenden ist, damit jede Art von unerwünschter Wirkung ausgeschlossen werden kann. Momentan wird es in einer großen Ampulle angeboten. Diese Menge ist zu groß für einen Zahn. Viel praktischer wäre eine kleine Kunststoffspritze.

Wird die Kariesbehandlung künftig auch preiswerter?

Noch ist das Mittel teurer als ein Bohrer. Die Behandlung ist auch zeitaufwendiger als das Bohren.

Sollten Krankenkassen die Behandlung bezahlen?

Das Gel bietet in erster Linie einen Behandlungskomfort für den Patienten. Man muß sich fragen, ob die Solidargemeinschaft das tragen soll, wenn wir noch nicht einmal genügend Geld haben, alle Nierentransplantationen zu finanzieren. Ich hielte es für unverantwortlich, wenn diese Gel-Behandlung in die Krankenversorgung hineingepreßt würde, solange man nicht für alle lebensrettenden Maßnahmen genügend Geld hat. Interview: Annette Rogalla