Der iranische Wechsel, der einfach nicht stattfand

■ Deprimierende Bilanz des neuen iranischen Regierungschefs Mohammad Chatami: Die angekündigten Reformen kommen nicht voran, die Minister können sich nicht durchsetzen

Berlin (taz) – Genau hundert Tage war Irans neuer Staatspräsident Mohammad Chatami am vergangenen Sonntag im Amt. Rund 20 Millionen IranerInnen hatten ihm im Mai überraschend zu einem deutlichen Sieg verholfen. Der Grund: Wegen seiner vergleichsweise moderaten Positionen galt der 54jährige ihnen als Hoffnungsträger. Doch Chatamis bisherige Erfolgsbilanz ist deprimierend.

Vor allem Intellektuelle, Frauen und Jugendliche hatten auf Chatami gesetzt. Versprach er ihnen doch mehr Meinungs- und Publikationsfreiheit sowie eine Lockerung des strengen Moralkodexes des Landes. Doch davon ist heute im Iran kaum etwas zu spüren. Die angekündigten Reformen kämen kaum voran, meinen Beobachter in Teheran. Vor einer „billigen Imitation“ westlicher Frauen warnte Irans geistlicher Führer Ali Chamenei Ende Oktober in einer Rede in einem Stadion in Teheran – eine indirekte Absage an Chatamis Wahlkampfversprechen, die Bekleidungsvorschriften für Frauen zu lockern. Wenig später verabschiedete das von Konservativen dominierte Parlament ein Gesetz, wonach Jungen und Mädchen nur noch von LehrerInnen des gleichen Geschlechtes unterrichtet werden dürfen.

Chatamis Minister können sich gegen die konservative Parlamentsmehrheit nicht durchsetzen oder – wie im Fall von Außenminister Kamal Charassi – gegen einen Schatten, denen ihnen Chamenei vorgesetzt hat. Rechtzeitig zu Charassis Ernennung bestimmte Chamenei dessen Vorgänger Ali Welajati zu seinem persönlichen Berater in Sachen Außenpolitik. Nach Einschätzung von Diplomaten in Teheran bestimmt weiterhin er und nicht sein Nachfolger die iranische Außenpolitik.

Immer noch aktiv sind die Ansar-e Hisbollah. Die „Anhänger der Partei Gottes“, treten als Schlägertrupps auf, die angebliche Gefährdungen der Islamischen Republik mit Knüppeln in ihre Schranken weisen. Eines ihrer letzten Opfer ist die bekannte Schriftstellerin Schirin Behbahani. Im Oktober verhinderten Hisbollahis gewaltsam eine Lesung – sie sollte in einer Halle des Ministeriums für Kultur und Religiöse Führung stattfinden.

Ein letztes Signal der Konservativen an Chatami ist ein wahrscheinlich gefälschtes Geständnis des inhaftierten Schriftstellers Faradsch Sarkuhi, das am 3. November die Zeitung Dschomhuri Islami veröffentlichte. Chatami hatte sich persönlich für den Regimekritiker eingesetzt – und zumindest eine relativ milde Strafe erreicht. Doch das jetzt aufgetauchte „Geständnis“ liefert Stoff für einen möglichen neuen Prozeß wegen Spionage. Thomas Dreger