Wenn Götter zu sehr lieben

Kein Pomp, keine Massen, keine Himmelfahrt: Hans Neuenfels streicht, was das Zeug hält, und inszeniert Kleists „Amphitryon“ am Wiener Akademietheater  ■ Von Uwe Mattheiß

Als die Idee vom Ursprung der Welt noch in der Pubertät war, ging es bisweilen lustiger zu. Den Donnergott der Griechen ereilte der Johannistrieb, und er stieg herab vom Olymp, das Begehren der Menschen zu begehren. Während Amphitryon, der größte Feldherr aller Thebaner, nach geschlagener Schlacht bei seinen Mannen lag, bereiteten Zeus und Alkmene, die fürstliche Strohwitwe, einander die Freuden des Herkules. Und Merkur/Hermes hielt dazu den Lauf der Gestirne an – because the night. Dem Mythos des Patriarchats schwant die Rache der unterworfenen Natur. Wie ein Dolch trifft den im Felde unbesiegten Helden die Einsicht, daß sein Weib ein Weib ist und der geile Göttervater dies weiß.

Was wollen uns diese Worte sagen? Kleist ist – das empfiehlt Hans Neuenfels, sein Analytiker – ein wahrer Atheist. Deswegen ist seine Geschichte von Göttern und Menschen so anrührend. Die Götter fallen aus dem Himmel der Projektionen ins menschliche Begehren zurück, und die Menschen, die begehren, werden sein wie Gott. Verteufelt human das Ganze, aber das hatten wir schon mal, und der alte Weimaraner war nicht gerade gut zum armen Kleist.

Neuenfels hat am Wiener Akademietheater folgerichtig gestrichen, was das Zeug hält: kein Pomp, kein Theben, keine Massen, keine Feldherrn, keine Himmelfahrt der Götter, auch nicht die Bitte Amphitryons um einen Göttersohn als Nachfahren, der den Frevel des Patriarchen am Patriarchat nachträglich legitimiert. Alkmene trägt den strammen Helden ohnehin schon sichtbar unterm Herzen. Amphitryon bleibt alleine, geht ab. Vor dem letzten „Ach“, das lange auf sich warten läßt, wirft Zeus die Götterkleider weg und steht vor der Angebeteten im preußischen Offiziersmantel. Und allen wird verwundert klar, dies alles hat Kleist wohl nur geträumt, wie einst den Traum vom Prinzen von Homburg an der Berliner Schaubühne.

Was bleibt ist ein eng gestricktes Kammerspiel der sechs Hauptpersonen und die stumme Rolle des individuell-allgemeinen Thebaners als Volk und Basis, wie damals im Kapitallesekreis. Die Räume werden enger, die Zeit dehnt sich, und alles ist blau. Nicht preußischblau, viel lichter, himmelblau und ein Schuß Schokoladenlila, aber keine Kuh. Das antikisierende Schäferspiel ziert ein profaner nordischer Rehbock, dessen Geweih in Brand gerät. Ein Zeichen für Amphitryon? Das weiß nur Neuenfels. Mutmaßlichen Eichenstämmen entwachsen rote und weiße Blüten. Theben ist anders, und das ist gut so. Jeder Versuch, die Komödie einmal nicht aus dem Alltagsrealismus und seinen Vorurteilen zu entwickeln, verdient für sich genommen schon Sympathie.

Was hat Alkmene auch schon in der Wirklichkeit verloren. Sie, die perfekte Projektion des männlichen Geistes, wie sie ein Gott nicht besser denken kann. Anne Bennent beschreibt sie so hold, rein und anmutig wie Bettina vom Fünfmarkschein. Vor so viel Liebreiz geht auch Jupiter/Zeus (Marcus Blohm) in die Knie, leiht sich das Bild Apolls. Der Himmelvater wird betont jugendlicher Liebhaber, um den inzestuösen Subtext dieser Begegnung vergessen zu machen.

Da treffen sich nicht nur Gott und Menschin, Mann und Frau als Polaritäten der Natur, sondern auch ein philosophisches System, das von den alten Griechen bis zu Weininger und Karl Kraus ziemlich unverändert bleibt. Geist gegen Natur, der Mann für sich, das Weib an sich. Er, der alles begehrt, sie, die alles hat und nichts weiß. Jupiter sucht Alkmenens Liebe, sie schmilzt in seinen Armen und nennt ihn Amphitryon (Hans-Jochen Wagner). Sie liebt in ihm, wie in allen, den einen.

Vor solch glühend männlicher Phantasie die holde Einfalt zu spielen, macht selbst eine Fürstin schwindelig. Anne Bennent zeigt das Verhüllen des eigenen Begehrens, die Strategien der Hysterie, und hintertreibt das Ganze zugleich mit kaum merklichen Gesten der Ironie. Was frau will, bleibt ihrer Dienerin vorbehalten. Charis (Theresa Hübchen) und Sosias (Stefan Wieland) positioniert Neuenfels als klassisches Dienerpaar der französischen und italienischen Komödie, derb, kindlich, allgemeinmenschlich. Zuviel Psychologie tut da nicht gut.

Die schönste Szene in einer konventionellen Auffassung der Komödie, der Monolog des ängstlichen Sosias nachts mit der Laterne, wird schlicht verhauen durch die Stimme von Sosias Lenorgewissen aus dem Off. Politisch korrekt und trotzdem nicht langweilig gerät hingegen die Aufwertung der Charis zur wissenden Frau aus dem Volke. Wie einst beim Nazarener, dem bei diesem heidnischen Treiben dennoch Kerzen aufgestellt werden, erkennt die Geringste unter den Weibern einzig den Gott.

Kein Schwank ohne Teufel. Bei Neuenfels heißt er Merkur (David Bennent) und treibt Possen wie ein Wiener Hanswurst – und sorgt für eine intertextuelle Pointe. Vor dem armen Sosias redet er plötzlich französisch, macht Kratzfüße wie die Altvorderen mit den Puderperücken. Molière meets Kleist – Germanisten und Romanisten freuen sich, wird an sie doch im Theater sonst selten gedacht.

Ach! Die Sparsamkeit des Lachens ist der Preis für einen Himmel ohne Götter.