Im günstigsten Fall dauert es 50 Jahre

Wie wird das Denkmal für die ermordeten Juden aussehen? In Berlin gab eine Findungskommission ihre Favoriten bekannt. Jetzt müssen sich die Auslober und der Senat zwischen vier Entwürfen entscheiden  ■ Aus Berlin Harald Fricke

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas wird langsam realisiert. Am Sonntag gab die vom Berliner Kultursenator Peter Radunski (CDU) im Namen der Auslober ernannte Findungskommission bekannt, daß man sich nicht für einen Entwurf entscheiden konnte. Das Ergebnis nach zwei Diskussionstagen: Vier Denkmalentwürfe stehen in einer engeren Auswahl, die endgültige Entscheidung soll bis Ende Januar fallen. Vorher will man vom 10. Dezember an alle 19 eingereichten Entwürfe, die bis zuletzt im Rennen waren, noch einmal öffentlich in Berlin ausstellen. Dabei soll auch die Bevölkerung an der Diskussion beteiligt werden, erklärte Radunski das weitere Procedere.

Die fünfköpfige Findungskommission, der unter anderen Christoph Stölzl als Direktor des Deutschen Historischen Museums und der amerikanische Erinnerungstheoretiker James E. Young angehören, hatte zunächst nur die Arbeiten der US-amerikanischen Künstler/Architekten Richard Serra und Peter Eisenman und der Berliner Architektin Gesine Weinmiller favorisiert.

Der erste Entwurf orientiert sich am Erscheinungsbild des jüdischen Friedhofs in Prag. Vorgesehen ist ein überdimensionales Feld aus 4.000 unterschiedlich hohen Betonpfeilern, die bis zu fünf Meter über den Boden hinausreichen. Die Zwischenräume sollen zwar begehbar bleiben, aber auf einem Durchgangsabstand von kaum einem Meter den Weg extrem einengen. In dieser Grenzsituation, so die Begründung von Serra/Eisenman, „gibt es keine Nostalgie, keine Erinnerung, kein Gedenken der Vergangenheit, es gibt lediglich eine lebendige Erinnerung, nämlich die der individuellen Erfahrung“.

Gegen die drückende Symbolik des labyrinthischen Friedhofs sieht der Vorschlag von Weinmiller „einen Raum der Stille“ vor. Auch dieser Entwurf geht davon aus, daß die „Schrecken des Holocaust nicht in einem Denkmal darzustellen sind“, sondern in der Trauer auf den Assoziationen der einzelnen beruhen. Über Stufen soll man auf eine Fläche geleitet werden, die gegenüber der äußerst verkehrsreichen angrenzenden Verbindungsstraße zum Brandenburger Tor um fünf Meter abfällt. Dort unten stehen lose verteilt 18 wandförmige Steinblöcke, die in der Aufsicht vom Rand des Monuments aus die Umrisse eines Davidsterns zeichnen.

Obwohl beide Entwürfe „von außerordentlicher Schönheit, Komplexität und großer Intelligenz sind“, wie es in der Erklärung der Findungskommission heißt, plädierte der Förderkreis für das Denkmal unter der Leitung von Lea Rosh zusätzlich für den Entwurf des in Paris lebenden Konzeptkünstlers Jochen Gerz. Der Senat schlug als Ergänzung für die Endauswahl den Beitrag des Architekten Daniel Libeskind vor, der das Mahnmal in eine direkte Verbindung mit dem von ihm gebauten Jüdischen Museum in Berlin bringt. Libeskind will auf seine Idee der „voids“ zurückgreifen, die als Aussparungen in den Wänden das 1999 eröffnende Museum durchziehen. Zugleich wurde die Achse der Gedenkstätte so verschoben, daß nun auch das Umfeld vom Tiergarten bis zum Brandenburger Tor städteplanerisch mit einbezogen ist.

Anstatt den Ort für sich sprechen zu lassen, wie es die drei anderen Entwürfe propagieren, geht Jochen Gerz sehr viel didaktischer vor. Sein Vorschlag basiert auf einer Dreiteilung in „Stille, Erinnerung, Gespräch“, für die er entsprechende Formen gewählt hat. Gerz will 39 Lichtmasten über den Platz verteilen, auf denen das Wort „Warum?“ als Leuchtschrift in den 31 Sprachen der von den Nazis verfolgten und ermordeten Juden zu lesen ist. Daneben ist ein Gebäude vorgesehen, das der Künstler „das Ohr“ nennt. In dem 800 Quadratmeter großen Flachbau aus Beton, Stahl und Glas sollen verschiedene Medien über den Holocaust informieren. Zum einen plant Gerz einen „Raum der Erinnerung“, an dem Steven Spielbergs Interview- Sammlung mit Überlebenden des Holocaust aufbewahrt wird. Außerdem soll ein „Raum der Antworten“ als Gesprächsforum dienen, und im Zentrum des Gebäudes möchte Gerz einen „stillen“ Meditationsraum mit der Musik des Minimal-Komponisten La Monte Young einrichten.

Darüber hinaus plant der Künstler eine Stiftung, die für das Mahnmal eine Bibliothek mit Texten anlegen wird, die aus den Gesprächen mit BesucherInnen hervorgehen sollen. Gerz geht es um den konkreten Einbezug der Reaktionen vor Ort, wie er es schon mit seinem Mahnmal für Hamburg-Harburg praktiziert hatte – dort konnten die BesucherInnen ihren Kommentar in eine versenkbare Stele einschreiben. Für Berlin will er außerdem gravierte Tafeln mit den Texten in den Platz einlassen, die vorher allerdings redaktionell betreut wurden. Gerz rechnet damit, daß sich dieser Prozeß im günstigsten Fall „über 50 Jahre“ hinzieht, vielleicht werden es auch 110 Jahre.

Auch in diesem Entwurf deutet sich jedoch eine Monumentalität an, vor der viele Kritiker schon bei der ersten Auslobung zurückgeschreckt waren. Tatsächlich ist es nach wie vor schwer vorstellbar, wie sich die bisher nur als Modell vorliegenden Entwürfe überhaupt auf der immensen Fläche von 20.000 Quadratmetern ausnehmen werden. Andere Vorschläge, etwa die überdimensionale Skulptur einer nackten Rahel vom Bildhauer Markus Lüpertz, wurden dabei ebenso schnell verworfen wie das Projekt von Rudolf Herz und Reinhard Matz: Die beiden Konzeptualisten hatten angeregt, das Mahnmal nicht in Berlin zu errichten. Statt dessen sollte ein Kilometer Autobahn in der Nähe von Kassel zum Gedenken der Opfer mit Kopfsteinen gepflastert und das restliche Geld für die Instandhaltung schon bestehender Gedenkstätten verwendet werden.

Daß nun immer noch vier Entwürfe zur Disposition stehen, liegt an den Erfahrungen der Gremien mit der ersten Auslobung. Man will diesmal möglichst alle Bedenken schon im Vorfeld abwägen, nachdem Christine Jackob-Marks' Siegerentwurf von 1995 durch den Bundeskanzler als zu monumental gekippt worden war. Außerdem soll sich die Dauer der Diskussion um das Mahnmal in ihrem Gewicht bis zur endgültigen Entscheidung widerspiegeln. Trotzdem sind sich alle Beteiligten sicher, daß es einen Beschluß geben muß. Als Vorsitzende des Förderkreises für das Mahnmal warnte Lea Rosh denn auch vor der Blamage, „wenn wir da nicht hinkommen“.