■ Joschka Fischer hat es geschafft. Mit einer witzigen und kämpferischen Rede ist es ihm gelungen, selbst die innerparteilichen Gegner zu überwältigen
: Einig sind wir stark

Joschka Fischer hat es geschafft. Mit einer witzigen und kämpferischen Rede ist es ihm gelungen, selbst die innerparteilichen Gegner zu überwältigen

Einig sind wir stark

Wird es die Chance für einen ökologischen und sozialen Neuanfang geben, oder behalten die chaotischen Systemveränderer die Oberhand? „Das ist doch jetzt die Kernfrage“, sagt Joschka Fischer oben am Rednerpult und macht eine winzige Kunstpause. Die Delegierten des grünen Parteitages unten im Festsaal der Stadthalle von Kassel scheinen kollektiv den Atem anzuhalten. Entsetztes Schweigen. Also doch! Fischer sucht die Konfrontation! Der interne Strömungsstreit geht weiter! Dann fährt der Redner fort: Kohl, Waigel und Blüm, die seien chaotische Systemveränderer, die mit ihrer Politik das soziale System zerschlügen. Donnernder Applaus. Es kann ausgeamtet werden.

Das Verhältnis zwischen Joschka Fischer und seiner Partei ist immer schwierig gewesen. Mißtrauen bringen ihm viele an der Basis entgegen, die dem Sprecher der Bundestagsfraktion Machthunger und Eitelkeit vorwerfen. Sie wissen, daß es Wähler gibt, die nur seinetwegen ihr Kreuz bei den Grünen machen – und nehmen ihm gerade das als Verrat an der gemeinsamen Sache übel. Fischer selbst hat die Partei jahrelang als lästiges Hindernis auf dem Weg zur Verwirklichung seiner Ziele empfunden. Gegner in den eigenen Reihen strafte er mit verächtlicher Arroganz. Niemals ließ er einen Zweifel daran, daß er glaubt, die Grünen seien auf ihn ganz persönlich angewiesen. Den Gedanken, daß das auch umgekehrt gilt, schien er für beleidigend zu halten.

Hat sich das geändert? Die Art und Weise, in der die Medien über den außenpolitischen Richtungsstreit geschrieben hätten, sei für ihn eine ganz neue Erfahrung gewesen, sagt Fischer oben auf dem Podium. Die Grünen seien jetzt, wo eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene in greifbare Nähe gerückt sei, in einer neuen Rolle. Ihre internen Debatten würden ganz anders wahrgenommen.

Die Sätze sind doppelbödig. Zum einen steckt darin die Warnung an die Basis, sie möge doch bedenken, welche Wirkung ihre Beschlüsse nach außen entfalteten. Zum anderen liegt darin aber auch die Erkenntnis, daß Fischer es sich nicht mehr leisten kann, ihm lästige Entwicklungen in der Partei mit einem ungeduldigen Achselzucken verärgert abzutun. Wenn er die Basis vor seinem Weg nach oben nicht abholt, wird er dort gar nicht erst ankommen.

Er hat sie abgeholt. Ausgerechnet Fischer ist es jetzt in Kassel gelungen, die Partei über alle Strömungen hinweg zusammenzuschweißen. Seine Botschaft: Wir sind alle gemeinsam in einer Partei. Alle anderen, auch und gerade die SPD, sind Gegner. Wir wollen den politischen Wandel. „Die Chance, dieses Land ökologisch und sozial zu erneuern, ist diesen gemeinsamen Einsatz wert.“

Am Schluß der Rede erfährt Joschka Fischer eine Huldigung, die noch kein Redner in der Geschichte der Partei je bekommen hat: Stehende Ovationen. Nicht alle stehen auf, aber doch die meisten. Und die anderen klatschen auch. Eine „starke, integrative Rede“, sagt später die linke Fraktionssprecherin Kerstin Müller. Eine „ausgezeichnete Rede“, lobt auch Fischers außenpolitischer Kontrahent Ludger Volmer. Die Gemeinsamkeiten innerhalb der Partei habe er „aufs beste“ dargestellt. „Beim Dissens hat er eingelenkt.“ Fischer habe das toll gemacht, findet der Europaabgeordnete Frieder Otto Wolf. „Er hat sich selbst auch so weit bewegt, daß die Parteilinke das als Angebot nutzen kann.“

Der Ton macht die Musik. Inhaltlich hat Fischer zum Streit über die außenpolitischen Richtlinien der Grünen, der in den letzten Wochen über Medien ausgetragen wurde, nichts Neues gesagt. „Die Wahlprogrammdebatte führen wir in Magdeburg“, erklärt er, und übt dann im Blick auf die Kontroverse ein bißchen Selbstkritik: „Aus meiner Sicht ist das nicht gut gelaufen, und ich nehme mich da überhaupt nicht aus.“ Beruhigend fügt er noch hinzu: „Mein Problem ist doch nicht, daß ich ein Bekenntnis zu Nato und Bundeswehr will, um Gottes Willen.“ Was er denn statt dessen gerne hätte, sagt er nicht. Das Signal war ohnehin klar genug: Es wird eine Einigung geben. Die Grünen ziehen geschlossen in den Wahlkampf.

Noch am Abend zuvor hatten Linke und Realos in verschiedenen Gaststätten bis in die frühen Morgenstunden hinein getagt und ihre Strategien für die Entscheidungen des nächsten Tages abgesprochen. Die verschiedenen Lager bestehen weiter. Aber der Verlauf der Fronten ist nicht mehr so starr wie einst. Kerstin Müller setzte sich mit Änderungsanträgen zur Arbeitsmarktpolitik gegen die Abgeordnete Annelie Buntenbach durch, die auch zu den Linken gehört. Das Grundsicherungsmodell, das unter Federführung von Andrea Fischer erarbeitet wurde, kam unter Beteiligung von Vertretern aller Strömungen zustande.

Der gemeinsame Wunsch nach Beschlüssen, die Ausgangslage für Koalitionsverhandlungen sein können, bringt seltsame Bündnisse zustande: „Tut mit wirklich leid, das war nicht meine Ansicht“, sagt der Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit, der sich gerne einen „Oberrealo“ nennt, und legt dem linken Parteisprecher Jürgen Trittin begütigend die Hand auf den Arm. „Ich hätte meinen Antrag zurückziehen sollen.“ Gerade hatten sich in einer Kampfabstimmung zum Thema Euro die Linken um Frieder Otto Wolf gegen einen Antrag von Cohn-Bendit durchgesetzt. Der Antrag des Vorstandes war schon vorher durchgefallen. „Wenn ich zurückgezogen hätte, hätte der Vorstand gewonnen“, glaubt jetzt Cohn- Bendit.

Trittin nimmt's gelassen: „Das war eine Kraftprobe zwischen Linken und Realos. An irgendeiner Stelle wollte man die Machtfrage in der Partei klären, und die hat man nun geklärt, zu Lasten des Bundesvorstands. Irgendwo wird immer ein Ventil gebraucht.“ Auswirkungen auf die Politik dürfte die Abstimmung ohnehin kaum haben. Die Anträge unterschieden sich im filigranen Bereich. Im zentralen Punkt stimmten alle überein: Die Grünen setzen sich für eine vertragsgerechte und fristgemäße Einführung des Euro ein.

Die Grünen wollen in Bonn regieren, auch die Mehrheit der Basis. Diesen Anspruch haben die Delegierten mit ihrem Beifall für Joschka Fischer erhoben. Sie haben ihm in Kassel das zugestanden, was früher zahlreiche Beschlüsse von der Rotation bis zur Trennung zwischen Parteiamt und Mandat verhindern sollten: eine dominierende Führungsrolle.

Für die gibt's allerdings Grenzen. Den Kaffee muß er sich auch weiter selbst holen. Zehn Minuten nach dem Ende seiner Rede steht Joschka Fischer brav in der Schlange vor der Getränkeausgabe an. Bettina Gaus, Kassel