Waffenruhe auf Zeit

■ IRA-Führung versucht Abtrünnige zu beruhigen. Blair will Adams einladen

Dublin (taz) – Der Armeerat der IRA hat seine Einheiten in Nordirland informiert, daß der Waffenstillstand vom vergangenen Sommer „zeitweilig“ sei. Damit will man offenbar den Dissidenten, die der Organisation den Rücken gekehrt haben, den Wind aus den Segeln nehmen.

Etwa 20 IRA-Mitglieder und zwölf Sinn-Féin-Leute sind nach einer eiligst einberufenen Armeekonvention in der nordwestirischen Grafschaft Donegal ausgetreten, weil der Armeerat bei dem Treffen umbesetzt worden ist: Kritiker der Mehrparteiengespräche sind durch Leute ersetzt worden, die der Sinn-Féin-Führung gegenüber loyal sind. Die Dissidenten glauben, daß die Gespräche zu einer internen nordirischen Lösung und damit zu einer Zementierung der Teilung Irlands führen werden.

Es ist durchgesickert, daß die Abtrünnigen eine eigene Organisation gründen wollen. Ob die Organisation den Waffenstillstand aufkündigen will, ist ungewiß.

Die britische Armee und die nordirische Polizei, die ihre Aktivitäten in den IRA-Hochburgen seit dem Waffenstillstand verstärkt haben, sind in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden. Francie Molloy vom Sinn-Féin-Vorstand sagte gestern, daß der Friedensprozeß scheitere, falls die Schikanen durch die Sicherheitskräfte nicht aufhörten und Bewegung in die Gespräche käme.

Erstmals seit dem Waffenstillstand ist die IRA wieder aktiv geworden. Am vorigen Mittwoch wurde der 21jährige Tone Donnelly angeschossen. Außerdem heißt es, daß die IRA die Gruppe „Direct Action Against Drugs“ wieder aufleben lassen werde. Unter diesem Namen hatte die Organisation während des letzten Waffenstillstands von 1994 acht angebliche Drogenhändler getötet.

Der britische Premierminister Tony Blair hat angekündigt, daß er den Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams noch vor Weihnachten in die Downing Street einladen will. Darüber hinaus will das Innenministerium acht IRA-Gefangene aus britischen Gefängnissen nach Irland überstellen. Ob das die Lage beruhigt, ist fraglich. Und ob das im Interesse Londons wäre, ebenfalls. In einer Talk-Show im irischen Radio sagten der Tory-Abgeordnete Peter Temple-Morris und sein Labour-Kollege David Winnick, daß eine Spaltung der IRA für den Frieden unvermeidlich sei. Mit einer derart geschwächten Organisation hätten Armee und Polizei leichtes Spiel. Ralf Sotscheck