NS-Opfer kurzgehalten

■ Berliner Senat will Zentrum für Holocaust-Opfer Finanzmittel streichen

Berlin (taz) – Esra – hebräisch für Hilfe – braucht jetzt selbst Hilfe: Dem bundesweit einmaligen Berliner Beratungszentrum für NS-Verfolgte und Holocaust- Überlebende droht das Aus. Die Berliner Sozialverwaltung will im kommenden Jahr die jährliche Zuwendung von 50.000 Mark ersatzlos streichen. Begründung: Personen, die von Esra betreut werden, hätten keine unmittelbare Verbindung mehr zum Holocaust, so der verantwortliche Staatssekretär Detlef Orwat (CDU). Die Stadt könne sich diesen Posten angesichts der Sparzwänge nicht mehr leisten.

Für Esra-Leiterin Alexandra Rossberg ist die geplante Streichung eine „Katastrophe“. Insbesondere „Child Survivors“, also diejenigen Verfolgten, die den Holocaust als Kinder und Jugendliche überlebt haben, bräuchten jetzt vielfach psychosoziale Betreuung. Viele von ihnen wurden in KZs geboren. Die überlebenden Kinder, die heute zwischen fünfzig und siebzig Jahre alt sind, könnten oft erst jetzt über ihre traumatischen Erlebnisse sprechen, hat Rossberg erfahren. „Viele von ihnen haben die Verfolgungszeit aus dem Bewußtsein ausgeschlossen. Erst beim Rückzug aus der aktiven Lebensphase kommen die verdrängten Erinnerungen wieder hoch.“ Rund 150 Menschen wenden sich jährlich an Esra.

Auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, hält eine Weiterfinanzierung für dringend notwendig. Er hofft, „daß die Geldgeber dafür gewonnen werden können, daß es doch weitergeht“. Die Geldgeber, das ist neben dem Berliner Senat auch die Jewish Claims Conference, die erbenloses jüdisches Vermögen verwaltet. Sie hat die 1993 vom Bund als Modellprojekt ins Leben gerufene Beratungsstelle bislang unterstützt, jedoch unter der Maßgabe, daß sie im nächsten Jahr nicht mehr zahlt. Auch die Jüdische Gemeinde und das Deutsche Rote Kreuz fördern Esra. Mit dem Wegfall des Senatsgeldes würde laut Rossberg Esra jedoch die „Arbeitsbasis“ entzogen: „Der Staat muß endlich die Verantwortung übernehmen“.

Doch der sieht das augenscheinlich anders: „Wir sind bereits im Jahr 1997“, sagt die Sprecherin der Sozialverwaltung. Ihre Verwaltung wolle zwar nicht die Folgen des Holocaust mißachten, aber seit dem Ende der Nazizeit seien über 50 Jahre vergangen. Außerdem, so begründete die Sprecherin die Kürzung, würde der Teilnehmerkreis „immer kleiner“. Für den Berliner Landesverband der Vertriebenen, der im gleichen Haushaltstitel wie Esra geführt wird, gilt diese Zeitrechnung nicht. Er erhält nächstes Jahr fast genausoviel Geld wie bislang: 300.000 Mark. Schließlich, so die Senatsverwaltung, würden damit Aussiedler aus Osteuropa betreut. Julia Naumann