Saddam Hussein, ein nützlicher Feind

■ Zwei Kriege und ein Embargo konnten den Diktator nicht stürzen. Dies hat seinen Grund

Es mag an der nahöstlichen Vorliebe für Verschwörungstheorien liegen oder am milden Wahn der irakischen Gerüchtewelt: Fragt man Menschen in Bagdad, warum ihr Land zwei Kriege verloren hat und seit sieben Jahren unter dem Embargo leidet, Saddam Hussein aber immer noch an der Macht ist, erhält man oft dieselbe Antwort: Der Mann müsse einfach ein Agent der CIA sein. „Warum sonst haben die Amerikaner ihn denn nicht abgesetzt, als sie 1991 unser Land in Trümmer geschossen haben?“

Die Wirklichkeit ist schlichter. Und besagt, daß Terror sich doch auszahlt: daß ein Diktator, der grenzenlose Angst in seinem Volk wie in seinem Machtapparat verbreitet, der nicht nur echte, sondern auch potentielle Rivalen ermorden läßt und sein Land mit einem dicht verwobenen Netz konkurrierender Geheimdienste überzieht, Niederlagen übersteht, die anderen Diktatoren mehrfach zum Untergang gereicht hätten.

Ihm nicht. Und auch die jüngste Konfrontation um die Frage, ob UN-Inspektoren das Land und seine Waffenproduktion kontrollieren dürfen, dürfte er im Amt überstehen. Es mag widersinnig scheinen, daß Saddam ausgerechnet jetzt, da die Allianz der Golfkriegsgegner langsam aufzuweichen schien, die Welt erneut gegen sich aufbrachte. Aber er hat nicht allzuviel zu verlieren – und um so mehr zu gewinnen, falls es ihm doch gelingt, die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs und Rußlands einzusetzen, die alte Allianz zu sprengen und vielleicht nicht das Ölembargo, aber zumindest die UN-Überwachung zu brechen.

Saddam hat, um es mit Stalins Worten zu sagen, meist gewußt, „um wieviel zu weit“ er gehen durfte; weder hat er im Golfkrieg 1991 Giftgas oder bakteriologische Waffen eingesetzt, noch wird er diesmal eines der amerikanischen Aufklärungsflugzeuge vom Himmel schießen. Er ist ein Opportunist des Machterhalts, zum Märtyrer macht er frei von Skrupeln sein Volk, aber nicht sich selbst.

Er inszeniert statt dessen, präsentiert sich als Freizeitcowboy: ganz der einsame, entschlossene Kämpfer, der Amerika immer wieder die Stirn bietet. Denn als US- Truppen 1991 kurz vor Bagdad standen, wollten sie ihn nicht absetzen: Zu unwägbar schienen ihnen die Risiken, daß der Irak, dieses Kunstprodukt britischer Grenzziehung aus der Erbmasse des Osmanischen Reiches, in einem Bürgerkrieg auseinanderbräche, der Iran den Süden und kurdische Clans den Norden unter ihre Gewalt brächten. Heute können sie ihn nicht mehr absetzen, denn nur zur Durchsetzung der UN-Resolutionen zur Vernichtung irakischer ABC-Waffen wird keine multinationale Streitkraft zusammenkommen.

„Washington will ihn wirklich loswerden“, versichert Duane Claridge, pensionierter CIA-Experte für den Irak, „aber weiß nicht, wie. Umbringen dürfen wir ihn ja nicht.“ Und auf einen Umsturz von innen zu hoffen, scheint aussichtslos spätestens seit Hussein Kamil, Saddams Schwiegersohn und zweiter Mann in der Machthierarchie, 1995 floh, anstatt zu putschen.

Tatsächlich macht Saddam, dessen Lieblingsfilm „Der Pate“ ist, mit seinen Säuberungswellen längst nicht mehr vor seinem eigenen Clan der „Takritis“ halt. Den Morden an Oppositionellen fallen auch enge Verwandte zum Opfer, deren Tod nicht der Logik folgt, daß sie gegen ihn sind, sondern irgendwann sein könnten – wie Adnan Khayrallah, Saddams Onkel, der auch noch – im Gegensatz zu Saddam – Englisch sprach. Eine Bombe zerriß seinen Hubschrauber an einem wolkenlosen Tag, offizielle Todesursache war ein Standsturm.

Aber was ist schon Wirklichkeit in diesem Land, wo die Propaganda alle verlorenen Kriege zu Siegen dekretiert? In diesem Höhlenbiotop, das abgeschnitten ist vom Rest der Welt; in dem selbst der Besitz einer Schreibmaschine die Genehmigung des Geheimdienstes erfordert und die frei erhältlichen Bücher über Demokratie von Saddam selbst stammen, darin der Kernsatz, daß die Demokratie „der richtigen Anwendung bedarf“.

All die wütenden Demonstrationen der letzten Tage, die Fernsehbilder entschlossener Märtyrer, die als lebende Schutzschilde mit ihren Matratzen in einen der Präsidentenpaläste wandern, sind Spukbilder, Inszenierungen. Denn selbst wenn keine Luftangriffe der Amerikaner zu fürchten sind, schläft der panische Despot angeblich nie mehr als zwei Nächte hintereinander am selben Ort.

Saddam, der mörderische Narziß, der vor laufenden Kameras weint über jene, die er hinterher umbringen läßt; der Bedarfsgläubige, dessen überlebensgroßem Konterfei als westlicher Staatsmann, kurdischer Stammesführer oder schiitischer Gläubiger man je nach Region begegnet, er hat den Irak in einen Alptraum von Orwellscher Qualität verwandelt. Ein Land, in dem Kliniken und Museen, Raketen, Brücken und selbst der größte Slum seinen Namen tragen, den auszusprechen das Volk vermeidet. Sein Bild hängt in sämtlichen Moscheen, in den Klöstern, Amtsstuben, Geschäften.

„Er saugt uns auf, unsere Seelen“, sagt der Kellner im Tigris- Café in Bagdad, nachdem alle anderen Gäste gegangen sind: „Er merkt alles, sieht alles, weiß eher als du selbst, ob deine Frau schwanger ist oder du den nächsten Morgen erlebst.“

„Das Volk ist die Partei, und die Partei ist der Führer“, steht auf einem der letzten Transparente, das die einst so mächtige Baath-Partei überhaupt noch erwähnt. Die Ideologie, einst eine Melange aus Panarabismus und sozialistischen Versatzstücken, braucht hier keine Logik mehr. Die Mühen der Begründung sind selbst aus den oberen Korridoren der Propagandaabteilungen gewichen. „Mein Lieber, es ist ganz einfach“, erklärt Uday Altay, Chef der irakischen Nachrichtenagentur INA und Herr über fünf Telefone: „Es geht weder uns noch den Amerikanern um Menschenrechte und Demokratie. Es geht um Geld, Macht und Öl.“

Und in diesem Koordinationsmuster sind ausgerechnet Saddams Feinde an seinem Verbleib im Amt interessiert, werden die USA sich um Fortsetzung des Embargos bemühen. Und solange teilen sich vor alle Kuweit und Saudi-Arabien die alte Opec-Exportquote ihres Konkurrenten von drei Millionen Barrel pro Tag, von der allein Saudi-Arabien in den ersten Jahren 75 Prozent übernahm. Iraks jahrelanger Todfeind Iran verdient sogar dreifach, solange Saddam im Amt und das Embargo in Kraft bleibt: durch die höhere eigene Quote, die gestiegenen Preise und durch Schmuggel.

Keiner liebt Saddam, aber viele können ihn gut gebrauchen – oder haben noch mehr Angst vor dem, was nach ihm käme, sein größenwahnsinniger Sohn Uday, ein Bürgerkrieg oder beides. Ein Bürgerkrieg, dem der ehemalige irakische Botschafter in Wien einmal prophezeite, „daß wir bis zu den Knien im Blut waten werden“. Ein Bürgerkrieg, den solche höflichen Menschen führen würden, wie der liebenswürdige Kaufmann aus dem nordirakischen Kirkuk, der ganz ruhig erzählt von der kleinen Liste, die er im Kopf mit sich trägt. Ein halbes Dutzend Namen jener, die seine Familienmitglieder ermordet haben. An dem Tag, an dem das Regime stürze, werde er losgehen und töten. Und er warte.

Das Land ist voll von Leuten, die warten. Und den anderen, denen an der Macht, die mit Saddam untergehen würden wie sein ewiger Vizepremier und De-facto-Außenminister Tariq Asis. Die ein durch wenig zu erschütterndes Interesse daran haben, daß alles so bleibt, wie es ist. Es ist die Angst, die er gesät hat, die Saddam an der Macht hält – im Land, wie in der Welt.

„Würde Saddam nicht existieren, wir hätten ihn erfinden müssen“, pointiert Farid Zakaria, Chefredakteur des US-Magazins Foreign Affairs: „Es ist eine perverse Symbiose, aber ohne ihn würde Saudi-Arabien kaum amerikanische Truppen auf seinem Territorium dulden, hätten die Golfanrainer nicht für zig Milliarden Dollar US-Militärgerät gekauft, würden wir für unsere Rolle als Weltpolizist den Erzschurken verlieren.“ Gute Aussichten mithin für den Mann aus Bagdad. Und er braucht nicht einmal die CIA dafür. Christoph Reuter