Spätzlesender mit Feinkost Zipp

■ Chaos des Fusionierens: Planungen bei SDR und SWF verärgern Hörfunker und Radiohörer

Jeden Tag um fünf nach zehn hört Silvia K. auf S2 die Sendung „Eckpunkt“. Nun mußte sie der Frühstückszeitung entnehmen, daß ihre Lieblingssendung gestrichen werden soll. Sofort schrieb sie einen Brief: „Im Namen einer großen und begeisterten Zuhörerschaft bitte ich Sie herzlich: Setzen Sie den Rotstift woanders an.“ Der Grund für die Aufregung: Im Zuge der Fusion von SDR und SWF stehen im Radio fast alle Sendeplätze zur Disposition. Dieser Tage beraten einmal mehr die Arbeitsgruppen (AGs) und die Lenkungskommission. In den Redaktionen und unter den Hörern brodelt indes die Gerüchtesuppe.

Auch in der „Eckpunkt“-Redaktion des SDR geht es seit Wochen hektischer zu als sonst. Ressortleiterin Gabriele Finger-Hoffmann schreibt Texte zum Redaktionsprofil und hält Vorträge über die Sinn und Zweck eines Sendeplatzes, in dem der gewöhnliche, der bizarre oder der manchmal auch nur schreckliche Alltag in 25 Minuten geschildert wird. Die Kisten mit der Hörerpost werden in den Sitzungssaal des Rundfunkrats getragen, Ausschnitte der Sendungen werden den Räten vorgespielt. Doch die essen Kuchen auf der Sitzung und hören kaum zu. Der „Eckpunkt“ ist nicht die einzige Sendung, die auf der Abschußliste steht und die sich die Räte anhören müssen. Die ungewisse Zukunft produziert schlechte Laune und Konkurrenzgefühle zwischen den Redakteuren. Dabei hatte alles so friedlich angefangen.

Im August 1996 pflanzten Hermann Fünfgeld und Peter Voß, die Intendanten von SDR und SWF, auf der Landesgartenschau in Böblingen einen Baum. Fünf Tage später präsentierten sie einen Fusionsplan für ihre Sender. Schon im Mai wurde die Sache von den Regierungschefs Erwin Teufel (CDU) und Kurt Beck (SPD), besiegelt: im Staatsvertrag zur Gründung des Südwestrundfunks (SWR).

Ab 1. Januar soll der Sender in seine Gründungsphase treten, im Oktober soll dann statt SDR und SWF der SWR senden. Nun sollen die paritätisch besetzten AGs aus Chefredakteuren und Hauptabteilungsleitern Vorschläge machen für die Radiozukunft machen – im Fernsehbereich hingegen geht es nur um Senderstrukturen, nicht ums Programm, denn das wird längst gemeinsam gesendet. Die letzten Entscheidungen werden voraussichtlich in den Direktionen und in den künftigen Wellenspitzen erst in jenen Monaten bis Oktober getroffen. Derzeit herrscht in den AGs zumeist nur ein Konsens über den Dissens. Dermaßen unterschiedlich sind die Sendeprofile und -strukturen, daß die Fusion des „Spätzlesenders“ SDR und der „Firma Feinkost Zipp“, wie man in Stutgart den SWF nennt, auch über die Gründungsphase hinaus noch einige Konfusion verursachen wird. In Baden-Baden bevorzugt man ein wellenorientiertes Hörfunkprogramm mit kurzen Textbeiträgen, in Stuttgart setzt man noch auf eine durch Fachredaktionen erarbeitete Senderstruktur.

Immerhin, so werden die Mitarbeiter auf beiden Seiten sich trösten, soll es keine Kündigungen geben. Die Personalstruktur soll angeblich durch die sogenannte „natürliche Fluktuation“ ausgedünnt werden. Aber so schnell werden auch Radioleute nicht alt: Rund 600 Stellen müssen in Hörfunk und Fernsehen abgebaut werden, was vor allem bedeutet, daß kaum Nachwuchskräfte eingestellt werden. Die Redakteure, so erwartet man, werden sich in den Doppelredaktionen eine Weile auf den Geist gehen, so daß die Ersten bald freiwillig den Hut nehmen. Andere werden erst gar nicht umziehen, was nach der Standortverteilung aber nötig ist.

Der SWR ist laut Staatsvertrag auf drei Hauptsitze aufgeteilt. Aus Stuttgart, wo der Intendant residieren soll, werden die Redaktionen für die aktuelle Landesberichterstattung, Innenpolitik, Wirtschaft und Sport sitzen, in Baden- Baden hocken die Kulturarbeiter des zweiten Kanals und die Blödler der zu SWR3 mutierten Popwelle SWF3, in Mainz wird das Regionalprogramm ausgebaut. Doch damit ist die Standortdebatte nicht beendet. „Wenn die Kulturredaktion in Baden-Baden sitzt, aktuelle Sendungen aber in Stuttgart produziert werden, frage ich mich, von welchem Ort die aktuellen Kulturberichte gesendet werden. Aber auch das werden wir lösen“, frotzelt Peter Boudgoust, Finanzdirektor und Justitiar des SDR.

Weniger optimistisch sind die Macher vom SDR3, dem heißgeliebten „Radio für den Wilden Süden“. Das soll nur als regionales Fenster in SWR3 bleiben. Selbst die in Schwaben populäre SDR3- Sendung „Leute“ wird wahrscheinlich nicht mehr weitergeführt. Daß die Gespräche mit den Stars wegfallen, hat in Stuttgart, wo die Promis nicht eben häufig gastieren, zu Bürgerprotesten auf der Straße und Leserbriefschlachten in den lokalen Blättern geführt. Kein Wunder, daß Maultaschenliebhaber Rezzo Schlauch sich einmischte. Er rief zum Gebührenboykott auf. Carsten Otte